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I. Zurückblätternd...

 

Ich habe die Geburt und das Sterben vieler Zeitschriften miterlebt. Aber keine Zeitschrift, der ich zur hundertsten Nummer hätte gratulieren können. Dass ihr euer Kind, obwohl ihr ihm erlaubt, nein, ihm befehlt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und komplizierte, ja trockene Texte von sich zu geben - dass ihr dieses euer Kind so lange habt großziehen können, das ist eine in der Geschichte der linken, parteilosen, philosophisch-politischen Zeitschriften einmalige Tatsache.

Günther Anders 1977

Ich habe am Argument immer sehr geschätzt sowohl die ökumenische Weite wie auch die kritische Strenge. Es lässt keine Phrasen zu und konfrontiert die Marxisten mit ihren eigenen Theorien und Wertstandpunkten.

Helmut Gollwitzer, 1988

Das Argument ist ein guter Spiegel der inneren Konvulsionen und Umorientierungen der linken Intelligenz. Da, wo es versucht hat zu führen, Programme zu entwickeln, greift es über die Funktion hinaus, die es erfüllen kann.

Georg Fülberth, 1988

Der Brain Trust der Studentenbewegung sei der Argument-Klub. Er begnüge sich nicht damit, die Studentenschaft zu kontrollieren, sondern strebe die Kontrolle über die Universität an.

Ernst Fraenkel vor dem Demokratischen Klub, laut Morgenpost vom 28. 10. 1967

Ein junges berliner SDS-Semester: "Was wir Jungen in gesellschaftspolitischen Fragen gelernt haben, das haben uns die 'Alten' im Argument-Klub beigebracht."

DIE ZEIT, 23. Februar 1968

Das Argument hat in starkem Maße dazu beitragen können, dass immer stärkere Teile der studentischen Massenbewegung der Rationalisierung ihrer Verhaltensformen und ihres Denkens zugänglich wurden und nicht mehr nur gefühlsbetont, sondern - wie es ihrer Ausbildung hätte entsprechen sollen - wissenschaftlich, auch in ihrer Auseinandersetzung mit dem offiziösen Wissenschaftsbetrieb, nicht nur im politischen Kampf selbst reagierten.

Wolfgang Abendroth, 1977

"Die Behauptung, dass 'Das Argument' die beste, weil fundierteste Zeitschrift der Linken ist, stößt heutzutage kaum auf Widerspruch. [...] Die Zeitschrift formulierte brisante Fragen, schon zu einem Zeitpunkt, da diese noch längst nicht in der allgemeinen Diskussion waren."

Frankfurter Rundschau, 5. November 1969

Das Argument gehört zu den anregendsten kulturpolitischen Zeitschriften im deutschen Sprachraum. In 99 Nummern hat es seinen Lesern zahlreiche kritische Argumentationen, Einblicke, Analysen und Meinungen geliefert, die nicht ohne Widerspruch blieben und gerade dadurch Argumente entwickeln halfen. Es hat so die Entwicklung der Bundesrepublik, ihrer Institutionen, ihrer Kultur und Wissenschaft antizipatorisch begleitet - und provoziert.

Heinz Ludwig Arnold, text + kritik, 1977

Ohne sich den Trends vor allem der linken Diskussiion zu ergeben, haben es die Redakteure und Autoren verstanden, aus einer kleinen Informationsbroschüre von Atomwaffengegnern eine auflagenstarke und renommierte Zeitschrift zu machen, deren Ansehen sich ebenso auf eine der wissenschaftlichen Diskussion richtunggebende Themenauswahl gründet wie auf den spezifischen Argument-"Stil".

Bund demokratischer Wissenschaftler, 1977

Aus Anlass des Erscheinens des hundertsten "Argument" fühle ich mich zutiefst beglückt, dass ich zu den regelmäßigen Lesern dieses großartigen Organs marxistischer Theorie und Meinungsbildung zählen kann.

Leo Kofler, 1977

"'Argument' liest man nicht, um nur 'mitreden' zu können, sondern weil man mitdenken will, um dann auch mitzuhandeln."

Martin Buchholz im Extra-Dienst, 1977

Hundert Bände "Argument": Wer sie durchblättert, stellt nicht ohne Betroffenheit fest, einen wie großen Teil seines Wisens, seines Reflexions-Reservoirs und seiner Standpunkt-Begründung er den Essays dieser Reihe verdankt - und das in einem Ausmaß, dass der Leser immer wieder in Gefahr gerät, für einen Augenblick zu vergessen, wie sehr er, scheinbar Niemandsland erobernd, sich in Wahrheit auf Feldern bewegt, die im "Argument" längst bestellt worden sind.

Wir brauchen die Berliner Enzyklopädie.

Walter Jens, 1977

Wir haben die Entwicklung des "Argument" nicht nur freundschaftlich, sondern mitunter auch sehr kritisch verfolgt. Um so mehr freut es uns, dass in letzter Zeit die Notwendigkeit erkannt wird, dass sich die verschiedenen Möglichkeiten materialistischer Wissenschaft, sozialistischer Theorie und Politik unabhängig und offen artikulieren können. Insofern wünschen wir dem "Argument" nicht nur ein weiteres Existieren, sondern auch und vor allem eine politische Entwicklung insgesamt, die es ermöglicht, im Sinne eines linken Pluralismus zu koexistieren.

Redaktion PROKLA, 1977

Für uns ist "Das Argument" zum Symbol geworden für ein deutsches und europäisches Denken von kritischem, demokratischem und wahrhaft konstruktivem Charakter.

MATERIALES - Revista de información y crítica cultural, Barcelona 1977

Your journal was invaluable as by translating many articles taken from it, we were able to acquaint Yougoslav readers with the most noteworthy research and discussions in Marxian circles in der Federal German Republic.

Milos Nikolic , Editor-in-Chief, Markzizam u svetu, Belgrad, 1977

"Das Argument" is serving a most needed functionin the stifling intellectual environment prevalent in the Western world. It provides an alternative vision and a critical outlook most needed in world scholarship.

Vicente Navarro, Editor-in-Chief, International Journal of Health Services, Baltimore, 1977

Man kann heute schon feststellen, dass "Das Argument" seine historischen Verdienste nicht nur im politischen Bildungsprozess der Neuen Linken in der BRD und Westberlin, sondern auch in der deutschsprachigen Schweiz hat.

Progressive Organisation der Schweiz (POCH), 1977

Was Das Argument als Zeitschrift auszeichnet, ist bei allem Wechsel der Verhältnisse ein hoher Grad an theoretischer Kontinuität. Das ist etwas, was ich sehr respektiere, dass es gerade nicht die Modeströmungen in der Theorieentwicklung mitmacht, dass es an einem bestimmten Zusammenhang von Marxschen Kategorien festhält. Das bedeutet, gegen den Strom zu schwimmen. Das ist heute eine sehr wichtige Funktion, die Das Argument hat... Das hat auch etwas von Retten vor dem Vergessen; von dem, was nicht aus dem Blick geraten darf. Die ganze Frage der Ideologie z.B., die sehr breite Faschismusdiskussion, die viel breiter und auch tiefer ist als bei anderen... Also kein blosses Beharren auf alten Strukturen, sondern ein Bewahren im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses.

Oskar Negt, 1988

Uns wurde uns der Vorwurf gemacht, dass wir, weil wir als Feministinnen in der Zeitschrift geblieben sind, wir auch in einem bestimmten Marxismus geblieben seien: Im Nachhinein bin ich froh, dass wir damals nicht die Kraft und das Geld hatten, eine eigene Zeitschrift zu gründen. Wir wollten diejenigen, die sich marxistisch verstehen, auch feministisch erreichen können. Und wir wollten diese Zweibeinigkeit: Marxismus und Feminismus auch theoretisch-kulturell zeigen können. Das ist in der Zeitschrift möglich.

Kornelia Hauser, 1988

 

II. Nach vorne blickend: Argument-Neugründung (2005)

 
In Argument 249 (2003) versprachen die Herausgeber, »die Zeitschrift bis zum Abschluss des 50. Jahrgangs weiterzuführen und die Qualitätsstandards weiter (und zum Teil wieder) zu erhöhen«. Letzteres wurde zur Zerreißprobe. Der Rahmen einer berliner Redaktionsgruppe, die seit 2001 keine universitäre Anbindung mehr hatte, erwies sich als zu eng. Er musste, unter Konflikten, aufgesprengt, die Redaktion den technischen Möglichkeiten entsprechend von der Ortsgebundenheit emanzipiert werden. Zugleich galt es, die Fortführung der Zeitschrift über ihren 50. Jahrgang hinaus anzubahnen. All dies zusammen lief auf eine veritable Neugründung hinaus.
Die Übernahme der Zeitschrift durch das InkriT und der Beginn einer Erweiterung der Herausgebergruppe waren erste Schritte. Die Gründung eines Wissenschaftlichen Beirats, der im vorliegenden Heft seinen ersten Auftritt hat, ist ein dritter Schritt. Er geht einher mit dem Übergang von der festen Struktur zu der einer »lernenden flexiblen Organisation«.
Wenn in Argument 263 (2005) zum ersten Mal eine »Redaktion dieser Ausgabe« nachgewiesen war, so verbirgt sich hinter dem Zusatz »dieser Ausgabe« das neue Konzept: Für jedes Heft bilden wir künftig in Abstimmung mit dem Beirat, der auch an der Themenplanung mitwirkt, eine eigene »Projektredaktion«. Permanent besetzt sind nurmehr die Koordination und die fachspezifisch zusammengesetzten Rezensionsredaktionen. Aus ihnen, den Herausgebern und den jeweils arbeitenden Projektredaktionen setzt sich die Aktivengruppe zusammen, die an die Stelle der bisherigen Redaktionsversammlung tritt. Mit dem Wechsel der Projektredaktionen wird diese virtuelle Versammlung sich im Rhythmus der Hefte immer wieder umschichten.
Insgesamt bedeuten diese Veränderungen eine Öffnung und Vergesellschaftung der Zeitschrift. Wie bei jedem Experiment ist das Ergebnis offen. Bei den kommenden InkriT-Tagungen werden die Erfahrungen ausgewertet – so erstmals am 2. Juni (siehe die Ankündigung im Anschluss). Spätestens hier treten Beirat und Aktivengruppe zumindest teilweise aus ihrem unvermeidlich virtuellen Dasein heraus ins unersetzliche einer leibhaftigen Zusammenkunft.
Wolfgang Fritz Haug

 

Zur Autonomen Frauenredaktion

Als Krise fasst man die Zeit, in der sich entscheidet, ob der Patient die Krankheit überwindet oder stirbt. Im Argument haben wir die langschwärende Krise der Redaktion genutzt, um einen Aufbruch nach vorn einzuleiten. Wir haben die Redaktionsarbeit auf einen Stand gebracht, auf dem sie entsprechend des Stands der Kommunikationsmittel seit langem hätte sein müssen, wie ja dank Internet seit Jahren der Umbruch in Island gemacht wird. Beirat und Projektredaktionen bilden sich nicht nur überlokal, sondern international, ja global. Unserer Einladung sind in wenigen Wochen fast 150 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gefolgt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Zeitschrift sind die Hälfte davon Frauen, dies ist ein überraschendes Novum.
Was für die Redaktion allgemein gilt, gilt auch für die Autonome Frauenredaktion. An ihre Stelle treten der feministische Teil des Wissenschaftlichen Beirats und die entsprechenden Projektredaktionen. Beide arbeiten bereits auf vollen Touren, derzeit sind Planideen für mehrere Jahrgänge im Gespräch. Die Redaktion des nächsten Frauenheftes, das unterm Arbeitstitel Geschlecht und Migration vorbereitet wird, setzt sich aus zwölf Redakteurinnen zusammen; Rezensionen sind in Arbeit, Übersetzerinnen gefunden usw. Drei weitere Hefte sind in Angriff genommen. Die Arbeit ist ungleich lebhafter, aktueller, vielfältiger geworden, freilich auch anstrengender. Die nächsten Jahre werden zeigen, was jetzt möglich ist.
Frigga Haug

 

Qualitätsstandards

Karl-Heinz Götze kam beim Blättern im letzten Argument manches »über die Zeiten hinweg seltsam vertraut vor: die hohe Qualität, die ewigen Illusionen, die Finanzlage ...«. Als illusionär mag ihm der »Optimismus des Willens« vorgekommen sein, der uns bei allem »Pessimismus des Verstandes«, wie es bei Gramsci heißt, weitermachen lässt. Die Qualitätsansprüche aber waren es, an denen sich Konflikte in der bisherigen Redaktion entzündeten. Daher ist es angezeigt, einige der Maximen auszusprechen, denen wir bei der Gestaltung der Zeitschrift zu folgen suchen.
Fragen der Qualität sind Fragen der Ausstrahlung. Ob ein Aufsatz gelesen wird, hat – neben dem Prestige des Autors bzw. der Autorin und der Signalwirkung des Titels – damit zu tun, ob er gut geschrieben ist. Wenn der Anfang bereits verstellt ist, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass selbst wohlgesinnte Leser über die erste Seite hinauskommen. Qualität ist nicht auf Grammatik, Wortwahl oder Orthographie reduzierbar, aber ohne diese ist noch jede Botschaft von vornherein um ihre Wirkung gebracht. Die Form lässt sich vom Inhalt nicht trennen. Sie stellt sich auch dort nicht automatisch ein, wo das Richtige, Notwendige oder auch nur Interessante und Mitteilenswerte gesagt wird. Es ist ohne die Materialität des sprachlichen Ausdrucks nicht zu haben. Man muss sich Lektüre verdienen. Die Redakteure sind in der Pflicht, sprachliche Hebammendienste zu leisten, nachdem positive Voten den Weg zur Veröffentlichung eines Textes frei gemacht haben. Jetzt schlägt die Sternstunde des Redakteurs-Daseins: Ein Text bittet um die Ehre, ins Reich der deutschsprachigen Literatur entlassen zu werden.
»Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche« – diese (marxsche) Formel aus den Gründerjahren der Zeitschrift verlangt eine Arbeitsweise, die die politische Analyse der bloßen Exekution eines für politisch korrekt Gehaltenen vorzieht. Wenn Brecht für die »Weite und Vielfalt« realistischer Stilmittel stritt, so findet dies seine Entsprechung beim Machen einer Zeitschrift. Um »der theoretischen Kultur der Linken« zu dienen (vgl. 161/1987), muss eine Vielzahl von Auffassungen zu Wort kommen. Ferner gilt: »Die Widersprüche sind unsere Hoffnung« (Brecht). Nur wenn es gelingt, Handlungsfelder und die darin sich kreuzenden und einander wechselseitig verstärkenden oder blockierenden Tendenzen zu analysieren, wird man fähig, wirksam einzugreifen und sich manövrierfähig zu halten. Überzeugungen sind Orientierungsmarken im Rauschen der Meinungen. Ihr Bildungsprozess ist unabschließbar. Statt zur richtigen Gesinnung zu überreden, sollen die Autoren daher zeigen und zu denken geben. Die dabei verwendeten Denkmittel müssen ihre Nützlichkeit stets aufs neue beweisen. Die Mitte haltend zwischen dauerndem Werk und vergänglicher Presse, praktiziert die Zeitschrift notwendig ein Prinzip Abstand, das befähigen soll, in den Widersprüchen der Gegenwart handlungsfähig zu werden.
Peter Jehle
 
Zur Weiterentwicklung der Arbeitsstruktur siehe Redaktion.
 

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