Jakobinismus
A: al-yaʽqūbīya. – E: Jacobinism. – F: jacobinisme. – R: jakobinizm. – S: jacobinismo. – C: yǎgèbīn zhǔyì 雅各宾主义
Michel Vovelle (PJ), Claude Mainfroy (TL, PJ), Thomas Marxhausen, Peter Jehle
HKWM 6/II, 2004, Spalten 1585-1602
Jakobiner wie J gehören zu den Worten, die, ihrem ursprünglichen geographischen und historischen Kontext entwachsend, eine allgemeinere Bedeutung angenommen haben, um eine Einstellung, ein Verhalten, ja eine Weltauffassung zu bezeichnen. Der Zufall der Geschichte wollte, dass in einem Pariser Dominikanerkloster – dem der Jakobiner – im Oktober 1789 der Klub eingerichtet worden ist, der in Paris wie in der Provinz eine Zeitlang führend werden sollte und als Erbe das Bild einer Gruppe hinterlassen hat, die entschlossen ist, die Revolution ›zu Ende‹ zu führen, sowie einer Struktur, in der einige die Erprobung oder die Vorwegnahme einer starken und ausgreifenden Demokratie sehen, andere eine ›Maschine‹, welche die Individuen zermalmt, ja die Matrix der kommenden Totalitarismen. Es geht um zwei Modelle: den historischen J, der ins revolutionäre Jahrzehnt hineingehört, und den transhistorischen, der aber deshalb für Historiker von nicht geringerem Interesse ist. Wie gestaltet sich der Übergang vom einen zum anderen? […]
Für die Arbeiterbewegung wie andere soziale Bewegungen markiert der J eine dreifache Herausforderung: Einerseits gilt es, eine geschichtsmaterialistisch fundierte Auffassung des Phänomens zu entwickeln, die danach fragt, wie es zur Verselbständigung des Staates und mithin zu einer Zentralisierung von Kompetenzen des Vergesellschaftungshandelns in einem der Gesellschaft selbst entzogenen Raum des ›Politischen‹ kommt, in dem die Dialektik von politischer und sozialer Revolution, Zentralismus und Basisdemokratie, Führenden und Geführten vermeintlich stillgestellt ist; andererseits, wie die Reproduktion autoritärer Politikmuster in den eigenen Reihen zu vermeiden und eine Gesellschaft zu gestalten ist, in der ein kritisches Verhältnis zur Gewalt und zu einer parlamentarischer Kontrolle entzogenen Politik-von-oben selbstverständliche Ausgangspunkte bilden. Drittens ist Robbespierres Egalitarismus ausschließlich männlich, und Olympe de Gouges, die die Erklärung der ›Menschenrechte‹ durch eine der Frauenrechte ergänzt hat (»Artikel 4: […] die Ausübung der natürlichen Rechte der Frau findet ihre Grenzen nur an der beständigen Tyrannei, die der Mann ihr entgegenstellt«), wird unter der Anklage des Föderalismus aufs Schafott geschickt.
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