Freiheit
A: al-ḥurrīya. – E: freedom, liberty. – F: liberté. – R: cvoboda. – S: libertad. – C: ziyou
Montserrat Galceran Huguet (GP)
HKWM 4, 1999, Spalten 940-967
F hat die verschiedensten Interpretationen gefunden; gleichzeitig ist der Begriff einer der am meisten missbrauchten Gemeinplätze. Seine bloße Erwähnung ist ein politisch wirksames Mittel, um jede »kollektivistische«, »kommunistische« und selbst »kommunitaristische« Position zu verurteilen. In diesem Rahmen ist der Gebrauch des Begriffs wesentlich ideologisch. Er normiert ›F‹ als universell gültiges Ideal privat-individueller Unabhängigkeit und Autonomie. Dabei bleibt der jeweilige soziale, kulturelle und politische Kontext außer acht, der ein freies Leben ermöglicht oder verhindert.
Im ML war beinahe das Gegenteil der Fall: Theoretisch verwies man – in Kritik des liberalen Konzepts, das F zu einem Privileg der herrschenden Klassen macht – auf den gesellschaftlichen Charakter der F und auf die Notwendigkeit, die persönliche F als aktive und bewusste Teilnahme an der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen, praktisch beschnitt man die Potenziale kollektiver Selbstbestimmung. Doch blieb das Thema ein Gegenstand der Auseinandersetzung, die politisch vor allem 1956 mit dem 20. Parteitag der KPdSU zu Tage trat. Von besonderer Bedeutung für die deutschsprachige Diskussion war der Kongress der AdW der DDR über »Schichten der F« im März 1956. Ernst Bloch verurteilte die Engstirnigkeit und den politischen Quietismus in der Definition von F als bloßer »Einsicht in die Notwendigkeit«. Mit »Notwendigkeit« sei nicht die zwangsläufige Reproduktion der wirtschaftlich-sozialen Bedingungen auf der Basis der adäquat verstandenen materiellen Notwendigkeiten gemeint, denn in diesem Fall »gäbe es kein Andersseinkönnen, also keine Veränderbarkeit« (…). Doch setzte sich diese Auffassung nicht durch, und der ML wiederholte bis 1989, dass die Partei die »Einsicht in die Notwendigkeit« repräsentiert. Ein Appell an F kam einer liberalistischen Abweichung gleich.
Einen wichtigen Kontext der philosophischen Thematisierung menschlicher F bildet die Problematik des Determinismus, die besonders im 19. Jh. heftig diskutiert wurde. Im deterministischen Rationalismus, sowohl bei Spinoza als auch im Materialismus der französischen Aufklärer, wird F schlechthin negiert. Andere Autoren bevorzugen einen ›sanften‹ Determinismus, der von »Bedingungen« der F spricht; ebenso findet man Positionen, denen zufolge sich das menschliche Handeln – im Gegensatz zu den Geschehnissen in der Natur – durch das völlige Fehlen von Determiniertheit auszeichnet (z.B. bei Sartre und anderen Existenzialisten). Von der Psychoanalyse beeinflusste Denker betonen dagegen unsere notwendige Unkenntnis von den Mechanismen unseres Handelns. Das Bewusstsein dringt zu seinen wirklichen Beweggründen nicht vor.
Marxistische Auffassungen schwanken gewöhnlich zwischen der Betonung einer starken Determiniertheit der menschlichen Handlungen durch die ökonomischen Strukturbedingungen und dem Verweis auf die Bedeutung des kollektiven Handelns (der Praxis), das diese Bedingungen verändern soll. Der Rückgriff auf die Idee der F erlaubt zu verstehen, dass die menschlichen Individuen fähig sind, ihre gesellschaftliche Welt ausgehend von verinnerlichten ethischen Regeln und Verhaltensnormen zu strukturieren, die innovatorisches Handeln ermöglichen. Gegenüber der engagierten liberalen und neoliberalen Verteidigung der F als Prinzip der Unabhängigkeit zwischen den Individuen ist für die marxistische Tradition diese Idee viel interessanter, da sie die menschliche Fähigkeit begreifen hilft, alternative und solidarische Welten zu konstruieren. In diesem Sinn verteidigen alle popularen Kämpfe die F.
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