falsche Bedürfnisse
A: ḥāǧāt muzayyafa. – E: false needs. – F: faux besoins. – R: ložnye potrebnosti. – S: falsas necesidades. – C: xujia xuyao
Morus Markard
HKWM 4, 1999, Spalten 73-78
Die Charakterisierung von Bedürfnissen als fB oder von Zielen/Handlungen/Befriedigungsformen als Ausdruck von fB spielte vor allem in den kulturkritisch bzw. kulturrevolutionär intendierten Debatten der Studentenbewegung eine Rolle. Vor dem allgemeinen Hintergrund des Diktums von Adorno: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« (…) und seiner Analyse einer Gesellschaft, in der Bedürfnisse ein »Konglomerat des Wahren und des Falschen« sind (…), fasste der Ausdruck »fB« den Umstand, dass Bedürfnisse von Menschen und ihre Realisierungen selbstfeindlich sein oder auch für andere schädliche Konsequenzen haben können, als durch gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen – »Massenkonsum«, »Kulturindustrie« – im Spätkapitalismus determinierte Massenerscheinung. Das Konzept »fB« organisiert also eine spezifische Hinsicht auf die Problematik der Historizität menschlicher Bedürfnisse und ihrer Befriedigung unter Bedingungen kapitalistischer Massenkultur.
Wesentlicher Bezugs- und direkter Anknüpfungspunkt für die Vorstellung der gesellschaftlichen Relevanz von fB ist Marcuses Buch Der eindimensionale Mensch (1967): »Wir können wahre und fB unterscheiden. ›Falsch‹ sind diejenigen, die dem Individuum durch partikuläre gesellschaftliche Mächte, die an seiner Unterdrückung interessiert sind, auferlegt werden: diejenigen Bedürfnisse, die harte Arbeit, Aggressivität, Elend und Ungerechtigkeit verewigen. […] Die meisten der herrschenden Bedürfnisse, sich im Einklang mit der Reklame zu entspannen, zu vergnügen, zu benehmen und zu konsumieren, zu hassen und zu lieben, was andere hassen und lieben, gehören in diese Kategorie fB.«
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