Einfühlung

A: ta‛āṭuf. – E: empathy. – F: empathie, identification. – R: spospbnost’ponjat’kogo-n, včuvstvovat’sja. – S: empatía. – C: yiqing 移情

Thomas Weber

HKWM 3, 1997, Spalten 133-147

Die beiden Extreme der mit dem Terminus angesprochenen Problemkonfiguration sind einerseits E als psychische Elementarform von Soziabilität und Solidarität und andererseits E als Form der Einfügung der Individuen in die (sie be-)herrschende Ordnung. Ungewollt drückt Edith Stein diese Spannung aus, indem sie E bestimmt als die Erfahrung, »die ein Ich überhaupt von einem andern Ich überhaupt hat«, und diese Erfahrung gleichermaßen auf die horizontalen Verhältnisse zwischen Menschen wie auf die vertikalen, ideologischen Verhältnisse bezieht: »So erfasst der Mensch das Seelenleben seines Mitmenschen, so erfasst er aber auch als Gläubiger die Liebe, den Zorn, das Gebot seines Gottes« (1917).

In der an Marx anschließenden Tradition gewinnt der Begriff vor allem bei Bertolt Brecht, für den E »der Grundpfeiler der herrschenden Ästhetik« (…) ist, zentrale Bedeutung. Seiner Kritik der E geht es jedoch nicht um die Abwendung vom Gefühl, sondern um die Freisetzung der Emotionen aus dem herrschaftlichen Reproduktionszusammenhang. Sie sollen zu einer emanzipatorischen Produktivkraft im Kampf um eine solidarische Gesellschaft werden. In diesem Sinne gewinnt Antonio Gramsci den Begriff für den Marxismus zurück, indem er die E in die popularen Leidenschaften als notwendiges Moment jener »Kritik«, die zur Bildung einer Gegenhegemonie ›von unten‹ befähigen soll, herausstellt.

Zentrale Bedeutung für Brecht erlangt der Terminus deshalb, weil er zwischen den 1890er und 1930er Jahren einen Topos der herrschenden akademischen Philosophie in Deutschland bildet – vergleichbar dem Stellenwert von »Kommunikation« im letzten Drittel des 20. Jh. Das Wort selbst ist jüngeren Datums – Bd. 3 des Grimmschen Wörterbuchs von 1862 verzeichnet den Ausdruck noch nicht. Eingang in die Sprache der Philosophie findet es durch die Rezeption der Ästhetik von Friedrich Th. Vischer (1843).

Brecht-Linie, dialektisches Bild, dialektisches Theater, Dummheit in der Musik, Egoismus, Eingedenken, eingreifendes Denken, Emanzipation, Engagement, Entscheidung, episches Theater, Fehler, Film, Führung, Gefühle/Emotionen, Geschichte, Gestus, Haltung, Hermeneutik, Katharsis, Metaphysik, Parteilichkeit, Theater, Verfremdung, Verstehen, Warenästhetik

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