Kommunikation
A: ittiṣal. – E: communication. – F: communication. – R: kommunikacija. – S: comunicación. – C: tongxun 通讯
Gerhard Zimmer
HKWM 7/II, 2010, Spalten 1281-1297
K (von lat. communicare, mitteilen, teilen, teilnehmen lassen, gemeinsam machen, vereinigen) ist ein umfassender Begriff für alle Arten und Formen des wechselseitigen Austauschs von Bedeutungen und Gedanken in Bezug auf ein Drittes, das auch die K selbst sein kann (Meta-K). K kann orts- und zeitgebunden in Präsenz oder durch Medien übertragen, orts- und zeitungebunden sowie als K zwischen Individuen als auch als Massen-K vollzogen werden. K setzt dazu das Verständnis von und den Umgang mit Symbolsystemen wie Sprache, Schrift, Grafiken etc. voraus. Der Bezug der K auf das gemeinsame Dritte impliziert, dass K von den Bedingungen und Widersprüchen der gesellschaftlichen Entwicklung ebenso geprägt ist wie ihre Entwicklung die Veränderung und Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse mitbedingt oder behindert. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeit und der gesellschaftlichen Verhältnisse ist nicht ohne die Entwicklung der K der Subjekte und ihrer K-Verhältnisse möglich. K setzt Denken und Emotionen sowie Absichten und Handeln der Subjekte ebenso voraus wie sie diese beeinflusst und hervorbringt. K hat omnihistorisch Orientierungsfunktion und ist historisch-spezifisch durch verallgemeinerte gesellschaftliche Bedeutungen vermittelt. Sie ist eine Existenznotwendigkeit menschlicher Lebensgewinnung. Die Verfügung über die Bedingungen der K ist als Verfügung über lebenswichtige Bedingungen ein umkämpfter Prozess.
In Klassengesellschaften hat K Doppelcharakter. Als freie und gleiche K ist sie das Medium der Emanzipation; sie ist, wie das Bedeutungsfeld von lat. communis (gemeinsam, daher Kommune, Kommunismus) anzeigt, auf Verhältnisse gerichtet, »worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (Manifest). Andererseits ist K Medium der Sozialisation, der Formierung, Überwachung und Kontrolle der Subjekte, um ihre Funktionalität im System gesellschaftlicher Herrschaft zu erreichen.
K erfolgt in soziokulturellen und institutionellen Bahnen mit ungeschriebenen Regeln bzw. wird in diese gelenkt, in diesen entwickelt und akzeptiert, andernfalls kommt es zu K-Konflikten, Ausgrenzungen und auch Bestrafungen. Diese K-Bahnen werden geformt durch die K-Verhältnisse, die bestimmt sind durch die gesellschaftliche und soziale Anordnung der Positionen und Funktionen der kommunizierenden Personen. Dies beginnt in der Familie, setzt sich in den Bildungseinrichtungen und Gleichaltrigengruppen, in Kultur und Freizeit sowie staatlichen und sozialen Einrichtungen fort und spielt insb. auf den Waren- und Arbeitsmärkten und in Unternehmen eine wichtige Rolle. Dass es z.B. K-Trainings sowohl für Verkäufer von Waren wie Vermittler von Dienstleistungen, für Arbeitsuchende ebenso wie fürs leitende Personal gibt, weist darauf hin, dass die Beherrschung anerkannter K-Regeln keine Selbstverständlichkeit ist. Sie müssen, bei Strafe des Untergangs, gelernt werden. Ihre Kenntnis und ihre Praktizierung sind unverzichtbar für die Entwicklung und Sicherung individueller Handlungsfähigkeit, und sie sind zugleich Herrschaftswissen, das über Nicht/Zugehörigkeit entscheidet.
K vermittelt vertikalen und horizontalen Zusammenhalt. Keine Gruppe, die nicht auch K-Gemeinschaft ist, seien es die Kirchen, die politischen Parteien, die Gewerkschaften, die Vereine, deren K immer auch von den hegemonialen Diskursen in den gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen überformt wird. So ist z.B. die ›Konfirmation‹ (lat. confirmatio = Befestigung, Bestätigung) die feierliche Aufnahme in die Gemeinden der evangelischen Kirchen – in der katholischen Kirche die ›Firmung‹ – mit allen Rechten und Pflichten nach vorangegangener Unterweisung, die in ihrem Selbstverständnis zugleich ein individueller Bekenntnisakt zum Christentum ist. Der ›Exkommunikation‹, dem Ausschluss aus der ›Gemeinschaft der Gläubigen‹ in der katholischen Kirche, verfällt, wer ihren Regeln zuwiderhandelt. In ihr, die ein wesentlich repressiver Akt ist, reduziert sich der kommunikative Anteil aufs autoritative Dekret, das keinen Widerspruch duldet. K taucht inmitten der Repression auf.
Die die bestehenden geografischen Schranken auflösende elektronische Informations- und K-Technik ermöglicht sowohl die freie weltweite K wie auch deren jederzeitige elektronische Überwachung. Die Verschlüsselung elektronisch übertragener Information über sog. sichere Verbindungen, die unmittelbare Überwachung unmöglich macht und das Licht der Öffentlichkeit von legalen wie illegalen Akten fernhält, hat staatlichen Behörden Anlass gegeben, von den privaten Telekommunikationsunternehmen einen Generalschlüssel zur Entschlüsselung aller Informationen zu verlangen. Mit dem Internet stellt sich die Frage des staatlichen Gewaltmonopols neu.
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