klassische deutsche Philosophie
A: falsafah almāniyah klāsīkiyah. – E: classical German philosophy. – F: philosophie classique allemande. – R: klassičeskaja nemeckaja filosofija. – S: filosofía clásica alemana. – C: deguo gudian zhexue 德国古典哲学
Jürgen Stahl
HKWM 7/I, 2008, Spalten 920-928
Den Periodenbegriff ›kdPh‹ hat Engels in die Philosophiehistoriografie eingeführt (AD; Utopie; LF). Damit wird das philosophische Denken zwischen Kant und Hegel sowie Feuerbach als abgeschlossenes und überwundenes Erbe zusammengefasst und als theoretische Quelle reklamiert: »Ohne Vorausgang der deutschen Philosophie, namentlich Hegels, wäre der deutsche wissenschaftliche Sozialismus […] nie zustande gekommen.« (…) Die »deutschen Sozialisten« sind daher »stolz darauf«, dass sie nicht nur »abstammen von Saint-Simon, Fourier und Owen, sondern auch von Kant, Fichte und Hegel« (Utopie). Zugleich diente diese Gestaltbildung dazu, das Hineinwirken der Nachfahren des »deutschen Idealismus« wie Neukantianismus und -hegelianismus in die Sozialdemokratie abzuwehren. Gegen deren »höheres Blech« (AD) sollten die Intellektuellen der Arbeiterbewegung immunisiert werden.
Die Spätwirkungen dieser Diskurstaktik waren verhängnisvoll. Der von Lenin für den Marxismus erhobene Wahrheits- und Allmachtsanspruch (…) untermauerte in Analogie zu der von Engels behaupteten Folgerichtigkeit der Entwicklung die eigene politische Strategie in Abwehr alternativer Positionen. Im Gefolge von Stalin wurde das Erbe der kdPh zugunsten eines erneuerten Mechanizismus abgewiesen. – Im geteilten Deutschland nach 1945 war die Auseinandersetzung um dieses Erbe eingebunden in den Prozess der jeweiligen politischen Identitätsbildung. Die widersprüchliche Rezeption und zum Teil antagonistische Reklamation der mit kdPh bezeichneten Denkleistungen verband sich im ML mit der Ausbildung des eigenen ›progressiven‹ Selbstverständnisses in der Abwehr von Ansprüchen der ›spätbürgerlichen‹ Philosophie.
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