Kapitalismusentstehung
A: nušū’ arra’smāliyah. – E: origin of capitalism. – F: origine du capitalisme. – R: vozniknovenie kapitalizma. – S: génesis del capitalismo. – C: zibenzhuyi de fasheng 资本主义的发生
Ellen Meiksins Wood
HKWM 7/I, 2008, Spalten 273-292
Die Frage nach der K erscheint zunächst als eine der Definition. Denn es ist möglich, den Kapitalismus so zu bestimmen, dass zur Analyse seiner Ursprünge überhaupt keine Notwendigkeit besteht. Nur wenn das Kapitalverhältnis als historisch-spezifische gesellschaftliche Form behandelt wird, die sich wesentlich von anderen unterscheidet und selbst das Ergebnis eines Transformationsprozesses von einem Gesellschaftssystem zu einem anderen ist, wird die Erklärung seiner Entstehung notwendig. In der klassischen politischen Ökonomie und in den Fortschrittskonzeptionen der Aufklärung wurde der Kapitalismus auf eine Art und Weise thematisiert, die ihn als ewiges Charakteristikum menschlicher Existenz erscheinen lässt; er mag einen Entwicklungsprozess vom Embryonalstudium zur vollen Reife durchlaufen haben, oder wenigstens einen von der Latenz zur Aktualität, einen identifizierbaren geschichtlichen Ursprung hat er aber nicht.
Die Naturalisierung des Kapitalismus in den nicht-marxistischen Sozialwissenschaften und einigen Spielarten des Marxismus hat den Effekt, seine systemische Spezifik ebenso zu leugnen wie die historischen Prozesse, die ihn hervorgebracht haben. Dies hat nicht nur theoretische, sondern auch politische Konsequenzen. Wenn der Kapitalismus die natürliche Bestimmung der Geschichte ist, kommt seine Infragestellung einem Kampf gegen Naturgesetze gleich, und jegliche Opposition erscheint von vornherein zum Scheitern verurteilt. Gleichzeitig werden so die ›natürlichen Kräfte‹ des Marktes paradoxerweise als Sphäre der Freiheit, Chancen und Möglichkeiten behandelt. Annahmen wie die von der Unvermeidbarkeit des Marktes oder von den vermeintlichen Freiheiten, die er bietet, sind tief in der westlichen Kultur verwurzelt, wie an den Illusionen eines ›freien Marktes‹, die selbst innerhalb der Linken wirksam sind, zu sehen ist.
Die fruchtbarsten Debatten über die K haben unter Marxisten selbst stattgefunden. Mit der Veröffentlichung von Maurice Dobbs Hauptwerk (1946) setzte die sog. Übergangsdebatte ein, in den 1970er Jahren die ›Brenner-Debatte‹. Es ist v.a. der Marxismus, der – obwohl dies nicht für all seine Spielarten zutrifft (s.u. Abschn. 4) – mit den Konventionen gebrochen und versucht hat, die geschichtliche Spezifik des Kapitalismus zu benennen. Im Anschluss an Marx haben marxistische Historiker wie Edward P. Thompson und Robert Brenner die besonderen gesellschaftlichen Verhältnisse untersucht, welche die kapitalistische gegenüber anderen Gesellschaftsformen auszeichnen und ihr eine eigentümliche Logik und Dynamik verleihen, die sich selbst von den höchstentwickelten vorkapitalistischen Verhältnissen grundsätzlich unterscheidet. Dabei ist deutlich geworden, dass der kapitalistische Markt keineswegs eine Sphäre der Freiheit, sondern ein System von Zwängen und Notwendigkeiten ist, das alle menschliche Aktivität und alle gesellschaftlichen Verhältnisse den Erfordernissen von Kapitalakkumulation und Profitmaximierung unterwirft. Die geschichtliche Konstitution dieser Zwänge schließt jedoch Möglichkeiten ihrer Überwindung ein. Wo kritisch-historische Analyse die unhintergehbare Historizität des Kapitalismus betont, eröffnen sich Perspektiven einer anderen Zukunft.
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