Kooptation

A: intiḫāb takmīlī. – E: cooptation. – F: cooptation. – R: kooptacija. – S: cooptación. – C: buxuan 补选

Wolfgang Fritz Haug (I.), Pablo González Casanova (II.)

HKWM 7/II, 2010, Spalten 1740-1750

I. Als »ein Hauptbefestigungsmittel der Pfaffenherrschaft« im Mittelalter erkennt Marx die Tatsache, dass die Kirche ihre Hierarchie »aus den besten Köpfen im Volk bildete« (…). Im Unterschied zum Klassenkompromiss kann unter K allgemein »die Absorption der Eliten der feindlichen Klassen zur Enthauptung derselben« begriffen werden (Gramsci, Gef).

Der im Gegensatz zu seiner herrschaftstheoretischen Bedeutung antagonistischer Integration selten behandelte Begriff der K wird, wenn überhaupt, als Rekrutierungspraxis geschlossener Gruppen (Zünfte, Räte, Logen), als Selbstzuwahl im Gegensatz zu demokratischer Delegation gefasst (so etwa bei Max Weber). Zumal meritokratische Gruppen pflegen sich kooptativ zu rekrutieren. So entspricht dem akademischen Leistungsprinzip das Prinzip der aristokratischen K doch verbergen sich hinter solchen Hochholungen oft Seilschaften oder andere »Selektionsmechanismen, die kontrollieren, ob einer akademisch überhaupt kooptiert wird und einen Ruf erhält – Mechanismen, in denen offensichtlich Konformität mit der herrschenden Gruppenmeinung entscheidet« (Adorno). K in diesem Sinne ist eine mit Exklusion bewehrte Integrationsform. Sie wird in dem Moment zur gesellschaftlich-politischen Herrschaftstechnik, in dem sie dazu dient, »eine Repräsentanz von Gruppen herzustellen, die dennoch einflusslos bleiben, da sie am Auswahlprozess nicht beteiligt waren« (Clausen 1973). Findet sie zudem über Gruppen-, Klassen-, Geschlechter- oder Ländergrenzen hinweg statt, kann sie analog zur passiven Revolution strategisch zur Erzeugung passiver Hegemonie unter Herrschaftsunterworfenen eingesetzt werden. So haben Formen der ›Verstaatlichung‹ des Feminismus und des »Gender Mainstreaming« zur Auflösung der Zweiten Frauenbewegung beigetragen.

Nach dem Prinzip der K hat sich die Staatspartei sowjetischen Typs rekrutiert. Indem sie die besten, oft gerade kritischen Köpfe der nominell herrschenden Arbeiterklasse kooptierte – wobei die allzu Unbequemen freilich bald wieder ausgesondert wurden –, trug sie im Effekt zur Lähmung dieser Klasse bei. Zumal »Regierungsämter lösen die Ränge der Arbeiterklasse auf« (Lewin 1970). Bereits Lenin machte die Erfahrung, dass »die Kräfte des Proletariats vor allem durch die Schaffung des Apparats verbraucht worden« waren (…).

II. Bei der K (von lat. cooptare, hinzuwählen) geht es um eine Form der Reproduktion von Herrschaft, die die Unteren vom Entscheidungsprozess ausschließt. Eine »Gruppe von Notablen« zieht das Recht der Basis, ihre Vertreter selbst zu wählen, an sich und »kooptiert« ihre Mitglieder ohne deren Konsens, unter Umständen auch gegen deren Willen. Es soll sichergestellt werden, dass nur aufsteigt, wer das Vertrauen der Führung genießt. Um »die Folgen der von außen geführten Angriffe zu parieren oder zu minimieren« (Sani 1976), kann von der Führungsgruppe gegebenenfalls das Führungspersonal oppositioneller Gruppen inkorporiert werden. Letzteres bekommt eine besondere Bedeutung in neokolonialen oder imperialistischen Verhältnissen.

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