Klassenkampf
A: ṣirā‛ ṭabaqī. – E: class struggle. – F: lutte des classes. – R: klassovaja bor’ba. – S: lucha de clases. – C: jieji douzheng 阶级斗爭
Colin Barker (I.), Werner Goldschmidt (II.), Wolfram Adolphi (III.)
HKWM 7/I, 2008, Spalten 836-873
I. K ist einer der Schlüsselbegriffe des Marxismus, allerdings, wie der Begriff ›Klasse‹, keiner, den Marx eingeführt hat. Bürgerliche Ökonomen hatten die ökonomische Anatomie der Klassen, Historiker die Entwicklung des Kampfes zwischen ihnen bereits vor ihm beschrieben. »Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. dass der K notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet.« (An Weydemeyer, 5.3.1852)
II. Der Begriff K ist stärker als andere Kernbegriffe des Marxismus in Misskredit geraten. Während die sozial-ökonomische (Fort-)Existenz von Klassen auch in den ›fortgeschrittenen‹ kapitalistischen Ländern wieder entdeckt wurde (vgl. Bader u.a. 1998), soll der K zum »Vokabular einer anderen Ära« gehören (Heilbroner 1994). Wer weiterhin von ihm spricht, gilt entweder selbst als ewig Gestriger oder versucht, einen Gegner als einen solchen zu diskreditieren. Selbst sozial und politisch progressive Bewegungen kritisieren ihre Kontrahenten bisweilen als ›Klassenkämpfer von oben‹, ohne sich jedoch selbst als ›Klassenkämpfer von unten‹ zu begreifen. Damit ist auch der politische Klassenbegriff in dem Sinne, dass Arbeiter sich bewusst als Klasse zum Kampf gegen eine andere Klasse zusammenzuschließen, »in einer tiefen Krise« (Panitch/Leys 2001, übers. bei Deppe 2003).
Dagegen hat Marx die »Geschichte aller bisherigen Gesellschaft« als »Geschichte von K.en« gekennzeichnet, was von Engels dahingehend präzisiert wurde, dass dies nur für die »schriftlich überlieferte Geschichte« gelte (Manifest). Der K verschwinde nicht, »solange die verschiedenen Klassen mit ihren entgegengesetzten und sich widerstreitenden Interessen und sozialen Stellungen bestehen« (1852). Was sich im historischen Verlauf ändere, seien die Formen, in denen der K ausgetragen wird, nicht aber das ›Endziel‹ des proletarischen K: die Emanzipation der Arbeit in einer klassenlosen Gesellschaft (Marx an Weydemeyer, 5.3.1852). Erst dann hebe das Proletariat »seine eigene Herrschaft als Klasse auf« und an die Stelle der bürgerlichen Klassen und Klassengegensätze trete eine »Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (Manifest). An diesem ›Endziel‹ für den nationalen wie internationalen Befreiungskampf der Arbeiter hielten Marx und Engels auch nach der Niederlage der Pariser Kommune fest (1871). Auch die SPD beschloss noch 1891 in ihrem Erfurter Programm, »für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst, für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung« zu kämpfen (zit.n. Farner/Pinkus 1964).
Im Laufe des 20. Jh. wurde offenbar, dass sich die kapitalistischen Klassenverhältnisse – anders, als im Manifest erwartet (…) – nicht vereinfacht, sondern weiter ausdifferenziert haben. Neue soziale Schichten und Gruppierungen mit mehr oder minder differierenden ökonomischen und politischen Interessen und kulturellen Wert- und Zielvorstellungen sind entstanden; die ›Subjekte‹ oder Akteure des K – oder der sozialen Emanzipationskämpfe –, ihr jeweiliges Kräfteverhältnis zueinander und daher sowohl ihre (absolute wie relative) Lage als auch ihre kurz- wie langfristigen Ziele änderten sich. Da das Kräfteverhältnis der Klassen grundsätzlich asymmetrisch zugunsten des Kapitals strukturiert ist, erscheint die Macht des Kapitals als ›normal‹, und ihr Einsatz als K (›von oben‹) wird regelmäßig nicht oder kaum wahrgenommen, während die Aktualisierung der ›Macht der Arbeit‹ ebenso regelmäßig offen als K (›von unten‹) erscheint.
Das Feld, auf dem der K sich im Kapitalismus vollzieht, wird durch den historischen Verlauf der Kämpfe selbst modifiziert. Die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen verändern sich, und die Kämpfe verlagern sich in die vermeintlich originären ›Bastionen‹ der jeweiligen Kontrahenten. Die zivilgesellschaftlichen und politisch-staatlichen Institutionen sind nicht nur das Umkämpfte des K, sondern auch das Kampfterrain. Einerseits können Gewerkschaften im kapitalistischen Betrieb und Arbeiterparteien im bürgerlichen Staat eigene Machtpositionen aufbauen (vgl. Poulantzas 1975), andererseits erobert und besetzt auch die Kapitalseite Positionen innerhalb der Arbeiterschaft oder der ›subalternen‹ Klassen, etwa durch Gründung oder Unterstützung von ›gelben‹ Betriebsgewerkschaften, durch ›ideologische‹ Beeinflussung (über ›Apparate‹ wie Schulen, Medien usw.) der Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, Parteien) und ihrer möglichen Bündnispartner. Die Geschichte der K.e im Kapitalismus ist daher nicht ohne Berücksichtigung der kurz-, mittel- oder langfristigen ökonomischen Zyklen, der ihnen zugrundeliegenden technologischen Veränderungen und der durch sie induzierten sozialen Strukturveränderungen zu begreifen, gleichzeitig aber auch nicht auf diese zu reduzieren, wie dies im Konzept der »Klassenkampfzyklen« anklingt (vgl. Arrighi 1981; Mandel 1987). Stets spielen – vom ökonomischen (und technologischen) Prozess mehr oder minder unabhängige – politische und kulturelle Faktoren eine bedeutsame Rolle.
III. Geht man im Sinne des Kalten Krieges vom unversöhnlichen Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus aus, verfehlt man, wie Eric Hobsbawm hervorhebt, »den zentralen Angelpunkt« des 20. Jh., den Zweiten Weltkrieg, in dem »der liberale Kapitalismus und der stalinistische Kommunismus gegen die Angriffe Hitlerdeutschlands gemeinsame Sache gemacht haben«; die damaligen »Opfer der Sowjetunion als auch die dort erstmals erprobten Ideen einer makroökonomischen Planung und Wirtschaftslenkung« haben demnach »den liberalen Kapitalismus gerettet und zu seiner Wiederherstellung beigetragen«, wie an seiner sozialen Abfederung »die heilsame Angst vor einer Revolution« wesentlichen Anteil gehabt hat (1998). Diese Beobachtung deutet darauf hin, wie widerspruchsvoll der sowjetische Sozialismus in die sich mit den innerkapitalistischen Auseinandersetzungen überlagernden K.e gestellt war. Selbst aus K.en entsprungen, sah die Sowjetmacht sich von Anfang an mehrfach konfrontiert: mit nationalem und internationalem K durch die von ihm entmachteten und enteigneten Klassen in Russland wie auch durch die Bourgeoisie und andere herrschende Klassen weltweit; mit der Herausforderung zum Klassenkompromiss, ja Bündnis mit nationalen Bourgeoisien gegen den Faschismus; mit ›innersozialistischen‹ Konflikten wie dem sowjetisch-chinesischen. Im internationalen K, als den man die ›Systemkonkurrenz‹ insgesamt begreifen kann, ist die SU fundamental gescheitert. Für die künftigen K.e ist die Frage von Bedeutung, zwischen welchen Klassen der weltweite K letztlich stattgefunden hat.
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