Klassenkompromiss
A: musāwamah ṭabaqiyah. – E: class compromise. – F: compromis de classes. – R: klassovyj kompromiss. – S: compromiso de clases. – C: jieji tuoxie 阶级妥协
Wolfram Adolphi
HKWM 7/I, 2008, Spalten 873-884
Wenn Marx das Manifest mit der Feststellung eröffnet, dass »die [schriftlich überlieferte] Geschichte aller bisherigen Gesellschaft […] die Geschichte von Klassenkämpfen« sei (…), kann ergänzt werden: und von K.en. Revolution zeigt sich als gewaltsame, eruptive Aufkündigung bestehender K.e, Reform als schrittweise; beide haben neue K.e zum Resultat. Für die Französische Revolution war wesentlich, als im September 1788 »das ›widernatürliche‹ Bündnis von Aristokratie und Bourgeoisie zerbrach« und in der Folge »Krieg zwischen dem Dritten und den beiden ersten Ständen« herrschte (Markov 1982). Die »ungeteilte bourgeoise Hegemonie«, wie sie im Verlauf und Resultat dieser bürgerlichen Revolution sich ausprägte, war »nicht die Regel, sondern die Ausnahme« (Kossok/Küttler 1987) – die Regel war der K, der in der bürgerlichen Revolution »sowohl progressiver, d.h. positiver (Dominanz der bourgeoisen) als auch regressiver, d.h. negativer Natur (Dominanz altaristokratischer Klassenelemente) sein kann« (…).
Während für die bürgerlichen Revolutionen die »Wegeproblematik« (Küttler 1986) sowie die Bedeutung der sie bestimmenden K.e gründlich untersucht wurde, steht dies für die russischen Revolutionen von 1917 und die ihnen folgenden des 20. Jh. noch weitgehend aus. Dabei kommt der Frage des K für das Begreifen des Bürgerkriegs 1918-21 in Sowjetrussland, der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands im März 1921 oder des stalinschen Terrors in der SU in den 1930er Jahren wie schließlich auch des Scheiterns des befehlsadministrativen Sozialismus 1989/90 eine entscheidende Bedeutung zu. Welche K.e hat die »neue Klasse« (Djilas 1957) der Funktionäre verweigert, welche sind ihr abgerungen worden, und mit welchen Folgen? Nach den Erneuerungsversuchen des Eurokommunismus mit dem historischen Kompromiss einer »neuen Demokratie«, die mit dem Ende der staatssozialistischen Länder weitgehend in sozialdemokratische Wege mündeten, stellt sich in den Zentren des Kapitalismus nach der in den 1980er Jahren eingeleiteten Aufkündigung des fordistischen K zwischen Bourgeoisie und höheren Schichten der Arbeiterschaft die Frage, inwieweit der Neoliberalismus als kompromisslose Herrschaft einer transnationalen Bourgeoisie oder als neuer K in Gestalt eines Bündnisses von Herrschaftseliten mit Teilen der Mittelschichten zu begreifen ist.
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