Kritische Medizin
A: ṭibb an-naqdī. – E: critical medicine. - F: médecine critique. – R: kritičeskaja medicina. - S: medicina crítica. – C: pipanyixue 批判医学
Hagen Kühn
HKWM 8/I, 2012, Spalten 159-167
Eine KM, die umfassend die Bedingungen und Prozesse der Gesunderhaltung und Krankheitsentstehung zum Gegenstand hat, muss Kritik ›bürgerlicher Medizin‹ sein. Diese tendiert dazu, Gesundheitsprobleme zu individualisieren, Interventionen auf verwertbare Dienstleistungen zu beschränken und gesellschaftliche Probleme zu medikalisieren. Eine auf die Bevölkerung bezogene KM bezieht die gesellschaftlichen Arbeits-, Verteilungs- und Machtverhältnisse ebenso in ihr Konzept ein wie staatliche Politik und soziale Bewegungen. In diesem Kontext ist KM auch Kritik des bestehenden medizinischen Versorgungssystems.
Anders als traditionelle Gesundheitswissenschaften, die gesundheitsrelevante Lebensbereiche definieren, messen, beschreiben und sortieren, will KM deren gesellschaftliche Dynamik und die von ihr angetriebenen Tendenzen und Widersprüche mit begreifen; sie will nicht Materialien liefern für Verwendungszwecke im Rahmen bestehender Herrschaftsverhältnisse – sondern diese selbst zum Gegenstand kritischer Wissenschaft machen. Dazu werden die untersuchten Realitätsausschnitte zum Kapitalverwertungsprozess in Beziehung gesetzt. Zur theoretischen Vermittlung von Gesundheitsthemen und Gesellschaftskritik dienen Grundeinsichten der KrpÖ.
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