Angst/Furcht

A: khauf. – E: anxiety/fear. – F: angoisse/peur. – R: strach/bojazn'. – S: miedo/temor. – C: youlü/kongju

Wolfgang Fritz Haug

HKWM 1, 1994, Spalten 279-289

»Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn […] das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.« So beginnen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno im amerikanischen Exil ihre Dialektik der Aufklärung (1947). – Marxsches und marxistisches Denken entspringen in der Tradition der Aufklärung. Wenn Marx die Religion als »Seufzer der bedrängten Kreatur« faßt (MEW 1), so freilich nicht, um beim ›aufgeklärten‹ Bewußtsein über die Bedrängnis stehen zu bleiben. Zwar muß man »den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Drucks hinzufügt«, aber dies in praktischer Absicht: »Man muß das Volk vor sich selbst erschrecken lehren, um ihm Courage zu machen.« (…)

Marxismus entsteht als Aufklärung mit der Besonderheit, daß sie als Projekt der Emanzipation der von der Herrschaft und den herrschenden Verhältnissen Bedrängten praktisch wird, »mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (…), und es tut diesem Impuls kein Unrecht, wenn man fortfährt: ein geängstigtes Wesen.

Die Auseinandersetzung um A erfolgt vor allem an zwei Fronten: 1. Es wird sich darum drehen, angstmachende Verhältnisse als solche bloßzulegen und der Kritik in verändernder Absicht zu überantworten und zur Gewinnung oder Erweiterung von Handlungsfähigkeit beizutragen; die bewußten und unbewußten Apologeten von Herrschaft dagegen tendieren zu allen Zeiten dahin, die A zum metaphysischen Absolutum zu hypostasieren »als Bestätigung unserer schlechthinigen Abhängigkeit« (Benz 1959; zit.n. Haug 1964) und die Menschen in die Unterwerfung/Subjektion hineinzuängstigen. 2. hat die Dialektik seiner herrschaftlich-aufklärerischen und technokratischen Rationalität das aus der Revolution von 1917 hervorgegangene staatssozialistische Projekt selbst eingeholt: die Befreiung ist umgeschlagen in Herrschaft, die nicht nur in ihrer offen terroristischen Phase Degradation der Subjekte brachte und die A vor der Repression über die aus Partizipation entstehende Zustimmung stellte. Daher ist einfache Fortsetzung von Aufklärung und Pathos der Veränderung im Namen von »Marxismus«, ohne deren Dialektik mitzudenken, verwehrt.

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