Dummheit
A: al-ghabā'. – E: stupidity. – F: stupidité. – R: glupost'. – S: estupidez. – C: yuchun
Wolfgang Fritz Haug
HKWM 2, 1995, Spalten 855-874
Dem Zweifel, ob D sich überhaupt als Begriff fassen läßt, widersprechen die Gegensätze: Klugheit, Verstand, Vernunft, gar Weisheit und die dazu erforderten Haltungen sind in die Axiomatik der Philosophie von Anbeginn eingeschrieben, wie dann nicht ihre Abwesenheiten? Daß aber die D eine Großmacht ist, ist in die geflügelten Worte eingegangen: »Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.« (Schiller, Jungfrau von Orleans)
Das philosophische Altertum, vor allem Sokrates, hat der D, wie Nietzsche in der Fröhlichen Wissenschaft sagt, das gute Gewissen genommen, indem »die Denker nicht müde [wurden], zu predigen: ›eure Gedankenlosigkeit und D, euer Dahinleben nach der Regel, eure Unterordnung unter die Meinung des Nachbars ist der Grund, weshalb ihr es so selten zum Glück bringt‹« (…). In der Tat hat Sokrates, wie Platon ihn etwa im Protagoras auftreten läßt, das Schlechte als Schlechtberatensein analysiert; der Epikureismus und die Stoa folgen ihm darin. Bei Spinoza taucht dieser Gedanke wieder auf. In Brechts ethisch-moralkritischer Verwandlung von »Du-Schwein-Sätzen« in »Du-Ochs-Sätze« wird er marxistisch durchgeführt. – Bei Jesus scheint ein Echo auf diesen Sokratischen Gedanken mitzuschwingen, wenn er sagt, wer sein Wort höre und nicht danach handle, gleiche dem Dummkopf (ἀνδρὶ μωρῷ, viro stulto), der sein Haus auf Sand errichtet hat (Mt). Der kluge ›Egoismus‹ wird diese Sprache verstehen. Das Christentum aber führte die Idee des substantiell Bösen ein und ›verteufelte‹ den Egoismus: »es verdummte und verhäßlichte und vergiftete die Selbstsucht«, wie es Nietzsche in freilich interessierter Verklärung seines Herrenmenschen-Phantasmas formuliert (…).
Oder wäre es so, daß die Philosophen, indem sie sich um Wahrheit und Weisheit bemühen, nebenbei von Torheit und Unvernunft sprächen, während das Volk über D stöhnt, schimpft oder lacht? – Vor Hegels Augen findet dieses Lachen keine Gnade. […] Während bei Hegel die sich zum Maß der Dinge machende bürgerliche Geschäftigkeit als Inbegriff von D erscheint, ist es bei Kant, der sich an den gewöhnlichen Sprachgebrauch hält, umgekehrt: »Dumm heißt vornehmlich der, welcher zu Geschäften nicht gebraucht werden kann, weil er keine Urteilskraft besitzt« (Anthrop 1, §46). – Wenn noch 200 Jahre später »philosophische oder psychologische Untersuchungen über die D nur ansatzweise vorhanden« sind (HWPh), könnte man meinen, daß die Bedeutung von D nicht theorisierbar ist, weil es sich um eine bloße Invektive von wechselnden Standpunkten handle. Oder könnte es an den Fronten liegen, an denen von D gesprochen wird?
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