Kollektivierung

A: taǧmī‛. – E: collectivisation. – F: collectivisation. – R: kollektivizacija. – S: colectivización. – C: jitihua 集体化

Theodor Bergmann (I.), Simon Krysl, Thomas Marxhausen (II.)

HKWM 7/II, 2010, Spalten 1139-1151

I. ›K‹ meint den Zusammenschluss individuell wirtschaftender Bauern zur gemeinschaftlichen Nutzung ihrer Produktionsmittel Boden, Vieh, Landtechnik und Gebäude. Marx, Engels und Lenin sowie Parteiprogramme wie das der KPD (1919) oder der KPR(B) (1919) sprechen von der Bildung von »Genossenschaften«. Erst unter Stalin wird der Vorgang als »K« bezeichnet (1928), worin die Ende der 1860er Jahre in der IAA aufgekommene Richtungsbezeichnung ›Kollektivismus‹ mitschwingt (vgl. KWM 4). Der Terminus K wurde nach 1945 von anderen staatssozialistischen Ländern übernommen, selbst wenn, wie in der DDR, die neue Wirtschaftsform »Genossenschaft« statt »Kollektivwirtschaft« (russ. Kolchos, abgekürzt aus kollektivnoje chosjaistvo) genannt wurde. Außerhalb des sowjetischen Einflussbereichs kam es nur in Portugal während der ›Nelkenrevolution‹ 1974 zur freiwilligen K in großem Ausmaß, allerdings fast nur in der Region des feudalen Großgrundbesitzes (alentejo), so gut wie gar nicht in kleinbäuerlichen Gebieten im Norden. Durch staatliche Eingriffe wurden diese Produktionsgenossenschaften zum großen Teil wieder zerstört.

II. Nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Staatssozialismus 1989/90 waren die nun herrschenden Kräfte bestrebt, die K der Landwirtschaft rückgängig zu machen. Wie in Industrie, Handel und Dienstleistungen sollten auch hier kapitalistische Verhältnisse wieder (in einigen Gebieten des Balkans überhaupt erst) eingeführt werden. Das geschah wesentlich von oben, durch Gesetzgebung und administrative Maßnahmen, womit die De-K der K in den 1930er Jahren bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg ähnelt. Der Prozess war von vielschichtigen wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Interessen und Zielen beeinflusst: Als Beleg für den radikalen Bruch mit dem ›Kommunismus‹ diente er zur Legitimierung der neuen Machthaber gegenüber westlichen Staaten und Kreditgebern sowie in der eigenen Bevölkerung; durch die Identifikation der Genossenschaften mit dem diskreditierten Staatssozialismus wurden deren demokratische Formen des Zusammenarbeitens als ›ideologisch überholt‹ abgestempelt und damit die durch sie gesicherte Vollbeschäftigung sowie ihre Rolle als Organisator sozialer und kultureller Lebensbereiche delegitimiert; internationale Agrarkonzerne und Handelsketten erhielten Zugang zu bislang abgeschotteten Märkten, Bodenspekulanten kamen zum Zuge; Teile der Bauernschaft, die negative Erfahrungen mit dem administrativ-bürokratischen System gemacht und Illusionen über die Lage der Landwirte in Westeuropa hatten, nahmen an, als Einzelbauern souverän wirtschaften und ihre materielle Situation verbessern zu können. Im Zuge der De-K entstanden zwar auch Neugründungen von Genossenschaften nach bürgerlichem Recht, v.a. aber eine riesige Zahl von Klein- und Kleinstbetrieben, deren geringe Überlebenschance die soziale Differenzierung auf dem Lande vorantreibt.

Agrarfrage, Agrarreform, Apathie im befehlsadministrativen Sozialismus, Bauern, befehlsadministratives System, Bodenreform, despotischer Sozialismus, Dorfgemeinschaft, Errungenschaften des Sozialismus, Genossenschaft, Großer Sprung, Grundeigentum, jugoslawischer Sozialismus, Kleinbauern, kleine (einfache) Warenproduktion, Kommandohöhen, Modernisierung, nationaler Weg zum Sozialismus, Pacht, Pächter, Perestrojka, Planwirtschaft, primäre sozialistische Akkumulation, Produktionsverantwortlichkeitssystem, Sozialismus in einem Land, sozialistische Warenproduktion, staatsmonopolistischer Sozialismus, Stadt/Land, Subsistenzproduktion, ungleicher Tausch, Volkskommune, Wertgesetz im Sozialismus

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