Genossenschaft
A: ta‛āwunīyā. – E: cooperative. – F: coopérative. – R: kooperativ. – S: cooperativa. – C: hezuoshe 合作社
Alessandro Pelizzari, Alexis Petrioli
HKWM 5, 2001, Spalten 280-295
Der Sinngehalt von ›G‹ variiert je nach der sozialen, ökonomischen und gesellschaftstheoretischen Einbettung. Während die romanischen (bzw. den romanischen Sprachen entlehnten) Äquivalenzen die Bedeutung am ›Zusammen-Wirken‹ festmachen, stellt der deutsche Begriff auf den ›Nutzen‹ und dessen ›Genuss‹ ab und verschlüsselt die Erinnerung daran, dass ein ›Nutzen‹ ursprünglich nur gemeinsam ›gezogen‹ werden konnte. Die mittelalterliche Rechtsgeschichte kennt G in einem Bedeutungsspektrum, das von der mehr oder weniger gemeinschaftlichen Arbeitsorganisation im Rahmen einer dörflichen Subsistenzökonomie über zünftige Handwerker- und Händlervereinigungen zur ständisch-korporatistischen Faktionsbildung reicht.
Genossenschaftliches Zusammenwirken in Produktion und Konsumtion (oft verbunden mit Sozialisationsaufgaben gegenüber den nachrückenden Generationen) ist uralt und erscheint als ein Charakteristikum des homo socialis – im Gegensatz zur bürgerlichen Ideologie des homo oeconomicus, die das Individuum nur in Wettbewerb und Konkurrenz zu seinen Mitmenschen begreift. Je weiter man in die Menschheitsgeschichte zurückblickt, desto mehr fallen genossenschaftliche und kollektive Vergesellschaftungsformen ineins (vgl. Vierkandt 1931). – Eine theoretisier- und politisierbare Engführung erfährt der Begriff mit der Herausbildung der arbeitsteiligen industriekapitalistischen Gesellschaft. Marxistische Theorie zeichnet sich vor anderen antikapitalistischen Entwürfen u.a. dadurch aus, dass sie für eine sinnvolle emanzipatorische Perspektive nicht nur die Überwindung der Ausbeutung, sondern ebenso die an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Organisation der gesellschaftlichen Gesamtarbeit fordert, da nur vor deren Hintergrund die »freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller« (…) bilden kann.
Kooperation in genossenschaftlichem Zusammenhang ist begrifflich zu trennen von der im Fabriksystem gegebenen Kooperation, die die Aufhebung der Konkurrenz und der arbeitsteiligen Zersplitterung der Arbeiter bedeutet. Der Term »Assoziation« verbindet in seiner herrschaftskritischen Ausrichtung sowohl Kooperation wie auch die sozialistische Zielperspektive einer »assoziierten Produktionsweise« (…) mit den Organisationsformen der Arbeiter- und Bauernselbsthilfe. Theodor Bergmann bestimmt das genossenschaftliche Prinzip als »gleichberechtigte, verbindlich institutionalisierte Zusammenarbeit in verbundwirtschaftlichen Organisationsformen. Die Mitglieder sind gleichberechtigt und leisten einen konkret formulierten, gleichartigen Mindestbeitrag (z.B. Boden, Produkte, Arbeit, Geld, Viehkapital). Die Mitglieder üben von Anfang an die Selbstverwaltung aus oder werden zu dieser hingeführt, eventuell auch durch staatliche Hilfe.« (…) Die politisch-gesellschaftliche Einfassung der Selbstverwaltung bleibt in dieser Definition bewusst offen und deutet auf einen der zentralen Streitpunkte in der marxistischen G-Diskussion, die sich zwischen der Notwendigkeit zentraler Planung und der ebenso notwendigen horizontalen, demokratischen Vergesellschaftung bewegt.
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