gerechter Krieg
A: ḥarb ‛ādila. – E: just war. – F: guerre juste. – R: spravedlivaja vojna. – S: guerra justa. – C: zhengyi zhanzheng 正义战争
Ulrich Albrecht
HKWM 5, 2001, Spalten 335-345
Die Frage, ob es den gK (bellum iustum) gibt und wie er zu bestimmen sei, durchzieht die Geschichte und kulminiert am Übergang zum 21. Jh. im Diskurs über die ›humanitäre Intervention‹. Es handelt sich um eine Lehre vom Angriffskrieg. Der Verteidigungskrieg ist seit Beginn der Neuzeit rechtlich unstrittig: vim vi repellere licet (Luis de Molina) – es ist erlaubt, Gewalt mit Gewalt abzuwehren. Der die Jahrtausende durchziehende Disput über die Rechtmäßigkeit kriegerischer Gewaltanwendung wird üblicherweise im Zeitrahmen eingekürzt auf die Spanne von Augustinus, die Weiterführung von dessen Doktrin durch Thomas von Aquin sowie die Überwindung dieser Kriegsrechtfertigungslehre (Schule von Salamanca) mit der Herausbildung des Völkerrechts zu Beginn der Neuzeit, hernach besonders der grundsätzlichen Absage an Krieg als Mittel der Politik in den Satzungen von Völkerbund und UN. Dem steht entgegen, dass ideologische Muster von Rechtfertigung kriegerischer Handlungen, wie die westliche Nuklearstrategie und ihr sowjetisches Gegenstück mit ethischer Rechtfertigung des gK operierten.
Die geläufigsten Bestimmungen eines Krieges als gerecht, gerechtfertigt, gehen auf Augustinus zurück (De civitate dei): 1. iusta causa, gerechter Grund, Ahndung von Unrecht; 2. auctoritas, die Kriegserklärung erfolgt durch eine rechtmäßige Gewalt; 3. intentio recta, ›aufrichtige Gesinnung‹, etwa: Grausamkeiten sollen beendet werden (Krieg darf nicht um andere Ziele wie Annexion von Territorium geführt werden). In neuerer Zeit kommt als vierte Bedingung das friedliche Ende hinzu. Eine Neufassung von Hallett (1999) listet sieben Bedingungen auf: 1. auctoritas, eine zur Kriegserklärung berechtigte Autorität; 2. klare Definition von Kriegsgrund und Kriegsziel; 3. intentio recta, die gerechte Haltung; 4. der gK ist das letzte Mittel; 5. Wahrscheinlichkeit des Sieges; 6. Verhältnismäßigkeit des Kriegsziels; 7. Einhaltung des Kriegsvölkerrechts, des ius in bello.
Für das marxistische Denken ergibt sich ein spannungsreicher Bogen. Dem begründeten Pazifismus der alten Arbeiterbewegung und der neueren Friedensbewegung steht gegenüber das militärische Engagement für die Sache der Linken im Spanischen Bürgerkrieg, in der Kubanischen Revolution und in anderen Befreiungskriegen. Die großen bürgerlichen Revolutionen mit ihren blutigen Verläufen, in die sich die sozialistischen Befreiungsversuche historisch einfügen, waren regelmäßig getragen vom Pathos der ›gerechten Sache‹, der Überzeugung, es handele sich um gK.e. Ihren Kulminationspunkt erreicht diese Problematik in der Frage des Tyrannenmordes (vgl. von Beyme 1973): ist es recht, wenn kriegstreiberische Staatsmänner mit Gewalt beseitigt werden? Entgegen der Auffassung, der gK sei eine Problematik der Vergangenheit, ist mit den Nuklearstrategien und mit den Begründungen einer ›humanitären Intervention‹ die Thematik ungebrochen aktuell.
➫ Abrüstung, Antifaschismus, Antikolonialismus, Aufstand, Auschwitz, Bauernkrieg, Befreiung, Bürgerkrieg, chinesische Revolution, Faschismus, Friedensbewegung, friedlicher Weg zum Sozialismus, Gandhismus, Gerechtigkeit, Gewalt, Guerilla, Imperialismus, Kalter Krieg, Klassenkampf, Konterrevolution, Krieg und Frieden, Legalität/Legitimität, Militärpolitik, Militarismus, Militärkeynesianismus, nationale Befreiung, Revolution, Sozialismus oder Barbarei, Spanischer Bürgerkrieg, Supermächte, Terrorismus, Vietnam-Krieg, Volkskrieg, Weltkrieg, Weltrevolution, Widerstand