gesellschaftlich notwendige Arbeit/Arbeitszeit

A: al-‛amal al-iǧtimā‛ī aḍ-ḍarūrī / waqt al‛amal. – E: socially necessary labour / labour time. – F: (temps de) travail socialement nécessaire. – R: obščestvenno neobchodimjy trud / rabočee vremja. – S: (tiempo de) trabajo socialmente necesario. – C: shehui biyao laodong/laodong shijian 社会 必要 劳动 / 劳动 时间

Frigga Haug (I.), Paresh Chattopadhyay (MC) (II.)

HKWM 5, 2001, Spalten 573-585

I. GnA und der zugehörige Term gn Arbeitszeit scheinen auf den ersten Blick leichtverständliche und eher triviale Begriffe zu sein. Was in einer Gesellschaft an Arbeit anfällt, kann als gnA bezeichnet werden. Im Kapitalismus und folglich in der KrpÖ ist jedoch, was als gesellschaftlich notwendig gilt, Resultat dramatischer Entwicklungen. Diese zu rekonstruieren ist Grundlage der marxschen Werttheorie.

Im ersten Abschnitt von KI führt Marx die einzelnen Möglichkeiten vor, die den Wert einer Ware bestimmen könnten, etwa Zeitdauer der Arbeit, ihre Verschiedenartigkeit usw., und kommt zu dem Resultat: »Jede dieser individuellen Arbeitskräfte ist dieselbe menschliche Arbeitskraft wie die andere, soweit sie den Charakter einer gesellschaftlichen Durchschnitts-Arbeitskraft besitzt und als solche […] wirkt, also in der Produktion einer Ware auch nur die im Durchschnitt notwendige oder gn Arbeitszeit braucht. Gn Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen.« (…) Spannungspunkt ist der »Durchschnitt«, der im Zitat gleich viermal auftritt. Er bezieht technisches Niveau, subjektive Geschicklichkeit und Intensität sowie zahlungsfähige Nachfrage aufeinander. Der Durchschnitt ist also eine immer nachträglich, hinterm Rücken der Akteure sich bildende Größe, die ihnen als Marktbedingung gegenübertritt. In diesem Sinn ist die Dynamik des Durchschnitts vom ersten Kapitel an zentral für die marxsche Krisentheorie.

II. »Soweit die einzelne Ware oder Warenkategorie in Betracht kommt«, nehmen die zur Bestimmung des Warenwerts durch gnA erforderlichen Abstraktionen dem Wert »jede Messbarkeit«, bemerkte Eduard Bernstein (…), der als erster den Begriff gnA diskutiert hat. Wenn dieses Argument für den Einzelfall plausibel ist, so gibt sich Bernstein nicht damit zufrieden, sondern dehnt es ins Makroökonomische aus. Marx denke die Aufnahmefähigkeit des Marktes für eine bestimmte Warenart als einen der Bestimmungsfaktoren für gnA bei der Produktion dieser Ware, doch gebe es kein genaues Maß für den gesellschaftlichen Bedarf nach dieser Ware. Der Wert werde dadurch reduziert auf den Status »einer gedanklichen Tatsache, nicht anders als der Grenznutzenwert der Gossen-Jevons-Böhm-Schule« (…). Das verkennt das Grundmuster krisenhaft-nachträglicher Vergesellschaftung der Arbeit bei Marx. Bernstein scheint Marx wie einen linken Ricardo zu lesen. Seine Kritik trifft nicht Marx, wohl aber die Marx-Rezeption. So begreift etwa sein russischer Zeitgenosse Michael Tugan-Baranowski die »marxsche Werttheorie«, die er mit der von Rodbertus verwechselt, als »absolute Arbeitswerttheorie«, insofern gnA als absolute Wertsubstanz gefasst werde. Der marxsche Wertbegriff leide an einem »inneren Widerspruch«: Er sei »vergegenständlichte Arbeit. Aber wie Marx anerkennt, fällt der Preis mit dem Arbeitswert nicht zusammen; nun kann die Arbeit in nichts, wenn nicht in Preisen, sich vergegenständlichen. Folglich ist der Wert keine vergegenständlichte Arbeit.« (…) Dieser empiristische Kurzschluss, die Werttheorie ohne die nötigen Vermittlungen auf Preise zu beziehen, wird als vulgärökonomisches Argument in der bürgerlichen Marxkritik immer wieder auftauchen.

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