Geworfenheit
A: mulqan fī al-‛ālam. – E: thrownness. – F: être-jeté. – R: razmetannost’. – S: ser arrojado. – C: bei yiqigan 被遗弃感
Susanne Lettow
HKWM 5, 2001, Spalten 775-781
G ist ein zentraler Begriff der heideggerschen Philosophie von Sein und Zeit (SuZ). G bezeichnet ins Passive und Individuelle gewendet, was Marx und Engels in der DI ansprechen: dass »jedes Individuum und jede Generation« eine »Summe von Produktionskräften, Kapitalien und sozialen Verkehrsformen […] vorfindet« (…). Was hier fehlt und worauf der Begriff der G fokussiert ist, ist die Tatsache, dass jedes Individuum auch »sich« vorfindet, der »Schreck, dass wir da sind« (Anders 1947). G artikuliert die Kontingenz der historischen und gesellschaftlichen Situation, wie sie sich für das Individuum darstellt. Während Sartre diese Kontingenzerfahrung in eine »Konstruktion des Absurden« (Haug 1966) überführt, hat Althusser das mit G Bezeichnete vom Standpunkt der Strukturen formuliert, die das Ungeborene »erwarten«, und in denen »das ehemalige zukünftige Subjekt (l’ancien futur-sujet) ›seinen‹ Platz ›finden‹ muss, d.h. zu dem geschlechtlichen Subjekt (Junge oder Mädchen) werden muss, das es bereits von vornherein gewesen ist« (…). In dieser Formulierung aber fehlt die Seite des tätigen Individuums, das die Situation, in die es »geworfen« ist, praktisch aneignet und verändert. Der Begriff G deutet dessen Situiertheit im Ensemble der Produktion und Reproduktion des Lebens an und verschweigt sie zugleich. Die Bezugnahmen des marxistisch/herrschaftskritischen Denkens auf den Begriff gehen von diesem Widerspruch aus.
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