Kreditkrise
A: azmah ’i’timāniya. – E: credit crisis. – F: crise de crédit. – R: krjeditnyj krisis. – S: crisis de crédito. – C: xinyong weiji 信用危机
Thomas Sablowski
HKWM 7/II, 2010, Spalten 1989-2000
Die bürgerliche Ökonomietheorie neigt dazu, Krisen des Kapitalismus entweder auf eine ›exzessive‹ oder auf eine unzureichende Kreditvergabe zurückzuführen. Die K erscheint als notwendige Korrektur, die zu einem neuen Gleichgewicht führt. K.n sind aus dieser Perspektive prinzipiell verhinderbar, wenn eine adäquate Geldpolitik betrieben wird, die eine ausreichende Kreditversorgung gewährleistet bzw. eine übermäßige Kreditausweitung unterbindet. Aus marxistischer Perspektive ist diese Auffassung oberflächlich und falsch: K.n wurzeln in den Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise und sind zumeist Begleiterscheinungen von umfassenderen Krisen der Kapitalverwertung. Wirtschaftspolitik kann zwar deren Form und Verlauf beeinflussen, sie aber nicht verhindern, solange die kapitalistische Produktionsweise nicht überwunden wird.
Der Begriff der K bezeichnet zugleich ein Desiderat der marxistischen Theorie. Marx selbst konnte seine geplante Kredit- und Krisentheorie nicht fertig stellen. Obwohl es im Marxismus ausgedehnte Debatten zur Krisentheorie gab, haben sich nur wenige an einer systematischen Integration von Kredit- und Krisentheorie versucht. Ohne Kredittheorie bleibt allerdings die Krisentheorie systematisch unvollständig. Denn zum einen sind die Akkumulationsmöglichkeiten des Kapitals nicht durch den Akkumulationsfonds beschränkt, der aus dem bereits realisierten Mehrwert der Vorperiode resultiert, sondern können durch Kredite erweitert werden. Eine sinkende Profitrate führt demnach nur dann zu einer sinkenden Akkumulationsrate, wenn sie mit einer Kreditverknappung einhergeht. Um die Notwendigkeit von Krisen im Kapitalismus zu begründen, muss also auch gezeigt werden, dass es auf dem Höhepunkt des Booms notwendig zu einer Kreditverknappung kommt. Umgekehrt kann der periodische Aufschwung nach einer Krise nicht allein durch die nach Entwertung und Vernichtung von Kapital erfolgende Widerherstellung der Profitabilität erklärt werden, sondern es muss auch gezeigt werden, wie Kreditklemmen überwunden werden. Für die Kreditaufnahme ist die Entwicklung der Zinsrate im Konjunkturverlauf von Belang. Ferner beeinflusst die Zinsrate den Akkumulationsspielraum, da der akkumulierbare Unternehmergewinn nicht nur durch den realisierten Mehrwert bzw. Bruttoprofit, sondern auch durch die aus diesem zu zahlenden Zinsen bestimmt wird.
Die Frage nach dem Zusammenhang von Kredit und Krise hat durch die Weiterentwicklung des Kreditsystems, die Verallgemeinerung des Kreditgeldes, die Verbriefung von Krediten, die Entwicklung von Kreditderivaten und die damit einhergehende enorme Steigerung der Krisenpotenziale (Sablowski 2009) großen Bedeutungszuwachs erfahren.
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