Leistung
A: 'inğāz. – E: performance, achievement. - F: rendement. – R: dostiženie. – S: rendimiento. - C: chengjiu 成就
Hermann Kocyba, Wolfgang Menz, Stephan Voswinkel (I.), Frigga Haug (II.)
HKWM 8/I, 2012, Spalten 911-929
Mit »L« und »L-Prinzip« sind sehr widersprüchliche Konnotationen verbunden, die von der Akzeptanz als unverzichtbare Triebkraft gesellschaftlichen Fortschritts bis zur weitgehenden kritischen Gleichsetzung mit Entfremdung, Ausbeutung und Unterdrückung im Kapitalismus reichen. Während das L-Prinzip in der bürgerlichen Ideologie und Wissenschaft der Legitimation der Ungleichheit im Kapitalismus dient, stellt sich die Frage, was in emanzipatorischen Gemeinschaften an seine Stelle tritt, als wesentliches Problem einer marxistischen Reflexion des L-Prinzips sowohl in kapitalismuskritischer als auch in gesellschaftsperspektivischer Sicht.
I. L-Unterschiede werden von allen sozialen Gruppen ins Spiel gebracht, um ihre Ansprüche im Verteilungskampf von Einkommen und Prestige zu rechtfertigen. Gegen Standesvorrechte und ererbte Privilegien gewandt, rechtfertigt das L-Prinzip soziale Ungleichheit insoweit, als es sich auf unterschiedliche L-Beiträge von Personen oder Gruppen berufen kann. Die Idee der L-Gerechtigkeit stellt den Versuch dar, soziale Ungleichheit so zu legitimieren, dass grundlegende Gleichheitsnormen nicht verletzt werden.
Was als L zu gelten habe und wie sich Individuen, Klassen, Geschlechter darauf beziehen (können), ist umstritten. Das gilt für die Frage, ob nur für den Markt, in Erwerbsarbeit erbrachte oder ob auch Eigenarbeit oder personenbezogene Nichterwerbsarbeit als L zu gelten habe. Die geschlechtsspezifische Deutung des L-Prinzips, die sich darauf bezieht, dass Männern und Frauen in der gesellschaftlichen Arbeits- und Aufgabenteilung unterschiedliche Rollen zugewiesen werden, lebt in der Erwerbsarbeit fort, wo verschiedene Arbeiten als ›weiblich‹ oder ›männlich‹ gelten.
In der Kritik des L-Prinzips, das im Zentrum der »affirmativen Konsolidierung spätkapitalistischer […] Gesellschaftssystem« steht (Offe 1970), laufen zwei Argumentationsstränge nebeneinander her. Einerseits verschleiere es grundlegende Ausbeutungsmechanismen, da die ungleiche Verteilung von Gütern und Chancen i. d.R. nicht auf unterschiedliche L-Beiträge zurückzuführen ist; auch dort, wo dem L-Prinzip historisch eine gewisse Plausibilität zugesprochen wird, wird es vor dem Hintergrund moderner Organisationsformen industrieller Arbeit als »obsolet« betrachtet (…) ; im Finanzmarktkapitalismus lasse sich aufgrund der Abkopplung der Geldbewegung von der Entwicklung der Produktion und der Dienstleistung Markterfolg kaum noch auf L zurückbeziehen.
Auf der anderen Seite wird problematisiert, dass der gesellschaftliche Wert eines Menschen nach seinem Beitrag zu weithin sinnentleerten wirtschaftlichen Prozessen bemessen wird. Das L-Prinzip steht in dieser Sicht für Entfremdung, Eindimensionalität, Herrschaft der Abstraktion, es dient der Entpolitisierung, der Verdrängung von Verantwortungs- und Sinnfragen, der Herrschaftslegitimation im Rahmen einer autoritären L-Gesellschaft. Diese Kritik beruft sich vielfach auf den frühen Marx oder Autoren der Kritischen Theorie, bes. Herbert Marcuse (1955/1965), der den freudschen Dualismus von Sexualität vs. Kultur reinterpretiert: »Der unüberbrückbare Konflikt ist nicht der zwischen Arbeit (Realitätsprinzip) und Eros (Lustprinzip), sondern der zwischen entfremdeter Arbeit (Leistungsprinzip) und Eros.« (…) Befreiungsperspektive ist – in Anknüpfung an »Fouriers gigantische sozialistische Utopie« (…) – »nicht-entfremdete, libidinöse Arbeit« (…).
II. […] Unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution beim Aufbau des Sozialismus etwa in der DDR ist die Diskussion um L eingespannt in eine Vielzahl von miteinander verknüpften Fragen. L wird selbstverständlich wichtig für die Erreichung von »Planzielen«. Auf dem Parteitag von 1963 wird ein dichtes Programm zum Ausbau »der Lehre von der Leitung und Entwicklung der Gesellschaft« (Protokoll, 361), unterstützt durch industriesoziologische Forschung und die Publikation einer eignen soziologischen Reihe, ins Leben gerufen. Immer geht es auch um L-Fähigkeit, ihre Erhöhung, um subjektive und objektive Behinderungen. L wird in einem Begriffsnetz um »Arbeit« diskutiert, nicht aber selbst problematisiert.
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