hochtechnologische Produktionsweise

A: namaṭ al-intāǧ al-‛ālī tiknulōǧīan. – E: high-technological mode of production. – F: mode de production de haute technologie. – R: vysoko-technologičeskij sposob proizvodstva. – S: modo de producción de alta tecnología. – C: gaojishu shengchan fangshi 高技术生产方式

Christof Ohm (I.), Frigga Haug (II.)

HKWM 6/I, 2004, Spalten 435-450

I. Nach vier Jahrzehnten technologischer Umbrüche, die ganze Industrieregionen in Rost und Arbeitslosigkeit erstarren ließen, den Block staatssozialistisch regierter Gesellschaften Osteuropas in immer größeren Rückstand und schließlich in eine unbewältigbare Existenzkrise trieben, gerät in den ersten Jahren des 21. Jh. auch gesellschaftskritische Begriffsbildung in die Krise, die dieser Umbruchdynamik auf die Spur zu kommen beansprucht. Signale dafür sind wachsendes Unbehagen gegenüber dem Begriff ›Postfordismus‹, vorsichtig-distanzierte Übernahme bzw. kritisches Umfunktionieren von Begriffen, die in kapitalismusaffirmativen Denkwelten entstanden (›Informatisierung‹, ›Informationsgesellschaft‹, ›Wissensgesellschaft‹, ›Kommunikationsgesellschaft‹, ›Netzwerkgesellschaft‹ usw.). Bob Jessop schlägt vor, »dem ansonsten sehr vagen Postfordismus-Konzept einen positiven Inhalt zu geben, indem dieser als Ensemble vielfältiger Strategien begriffen wird, den Übergang zu einer globalisierten ›wissensbasierten Ökonomie‹ (knowledge-based economy) und den umfassenden, diesen Prozess begünstigenden Umbau der Gesellschaftsformation zu gewährleisten« (2003). Christian Fuchs konstruiert als Trias den »postfordistischen, neoliberalen und informationsgesellschaftlichen Kapitalismus« (2001); aus der Autoproduktion stammen ›Toyotismus‹, ›Hondaismus‹, ›Lean Management‹, ›Kalmarismus‹ usw. (vgl. Boyer/Freyssenet 2003), aus der Computerindustrie ›Wintelismus‹. An diesen Versuchen wird die technikdeterministische bzw. management-orientierte Tendenz der Begriffsbildung sichtbar; die Widersprüchlichkeit des neuen Produktionswissens ist ausgeklammert.

Ein erster Versuch, Schneisen ins Dickicht zu schlagen, ist der Begriff hP, der von Wolfgang Fritz Haug in der Analyse von Gorbatschows Versuch der Perestrojka zur Kennzeichnung eines Zentralproblems geprägt wird: »Der Übergang zur hP wird auch als Übergang vom extensiven zum intensiven Wachstum artikuliert. Die sowjetische Entwicklungsproblematik charakterisiert sich durch eine extreme innere Ungleichzeitigkeit, durch die Existenz hochtechnologischer Inseln in einem Meer hoffnungslos veralteter von Hand zu bedienender Maschinen«. (1989) Im Osten ist der Übergang gescheitert, »im Westen gerieten die im Fordismus errungenen Sozialkompromisse ins Wanken« (2003).

Es gibt Gründe, den Begriff informationstechnologische Produktionsweise dem der hP vorzuziehen oder sie gleichrangig zu verwenden. Zwar hat sich der Begriff ›Hochtechnologien‹ als Nachfolger von ›Großtechnologie‹ in sozialwissenschaftlicher Technikforschung etabliert (Rammert 1995a), aber er bleibt unspezifisch: jede Produktionsepoche enthält das Gegenüber von ›low-tech‹ versus ›high-tech‹. Oft wird nur willkürlich zu entscheiden sein, welche Technologien als Hochtechnologien einzustufen sind. Ein Nutzen des Begriffs informationstechnologische Produktionsweise liegt darin, dass er offensichtlich eine gemeinsame Dimension der Genese von Hochtechnologien anspricht: »Bei allen Hochtechnologien fällt auf, dass sie sich ohne die Technologien der Informatik in der Regel nicht herstellen oder verwenden ließen.« (1995b) Werner Rammert verweist u.a. auf die Herstellung neuer Werkstoffe sowie »die Entschlüsselung und Neukombination von Gen-Bausteinen in den Bioindustrien« (…) und schlägt vor, »die besondere Qualität der Hochtechnologien in dieser Verknüpfung von Energie- und Materialtechnik mit Informationstechnik zu sehen«. (…) Der Computer dient dabei als »Leittechnologie« (Haug 2003). Unter dieser Voraussetzung scheint es ebenso sinnvoll, am Begriff des »High-Tech-Kapitalismus« festzuhalten und hier die Problematik unter hP abzuhandeln.

Im Zentrum steht eine Alltagstechnologie, deren permanenter Umbruch errungene berufliche Handlungs- und Widerstandsfähigkeiten der Arbeitenden erschüttert; zugleich wird durch den Bezug auf P vorgeschlagen, »die Wandlungen des Kapitalismus unter dem Gesichtspunkt der Produktivkraftentwicklung und ihrer dialektischen Beziehung zu den Produktionsverhältnissen« (Haug 2003) anzugehen, also marxsches Grundlagenwissen zu nutzen und epistemologische Barrieren zu überwinden, die für mehrere Strömungen marxistischen Denkens bisher unüberwindbar waren. – Ein Blick auf einige der oben genannten Begriffe ermöglicht es, Spezifik und Nutzen von hP als Leitfaden der Forschung genauer zu bestimmen.

II. Die Frage, wie die neuen Produktivkräfte die Lebensweise der Individuen bestimmen, verweist, da mitten im Prozess der Umwälzung gestellt, auf Forschungsdesiderate mit Vernetzung bisher getrennter Bereiche. Das allgemeinste Forschungsarrangement, in dem der Spannungsbogen für die Untersuchung der Umbrüche aufscheint, findet sich bereits bei Marx: »In schneidenden Widersprüchen, Krisen, Krämpfen drückt sich die wachsende Unangemessenheit der produktiven Entwicklung der Gesellschaft zu ihren bisherigen Produktionsverhältnissen aus.« (Gr) Das bezieht sich auf den gesamten sozialen, politischen, geistigen Lebensprozess.

allgemeine Arbeit, Arbeit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsteilung, Arbeitszeit, Automation, Bildung, Dritte Welt, Exklusion, Familie, Feminisierung der Arbeit, Flexibilisierung, Fordismus, Gentechnologie, Gesamtarbeit, Gesellschaftsformation, Geschlechterverhältnisse, Globalisierung, Globalisierungskritik, High-Tech-Industrie, Humanisierung der Arbeit, Ich-AG, immaterielle Arbeit, industrielle Reservearmee, Industrialisierung, informationelle Revolution, Informationsarbeiter, Informationsgesellschaft, intellektuelle Eigentumsrechte, intensive/extensive Akkumulation, Internet, Kampagne, Kapitalismus, Klassenanalyse, Kommunikation, Kopf und Hand, Krise des Fordismus, Lebensführung, Lebensweise/Lebensbedingungen, Lernen, Männlichkeit, Moral, Neofordismus, Neoliberalismus, Postfordismus, Postmoderne, Produktionsintellektuelle, Produktivkräfte, Produktivkräfte/Produktionsverhältnisse, Produktionsweise, Segmentierung der Arbeiterklasse, Selbsttätigkeit, Selbstverwertung, Subjekt, Tätigkeit, Technikentwicklung/technologische Revolutionen, Umwälzung, Wissen, wissenschaftlich-technologische Revolution

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