Expressionismus-Debatte
A: naqāš ḥaula al-ta‛bīrīya. – E: expressionism debate. – F: débat sur l’expressionisme. – R: debaty o ėkspressionizme. – S: debate sobre el expresionismo. – C: biaoxian zhuyi de zhenglun 表现主义的争论
Robert Cohen
HKWM 3, 1997, Spalten 1167-1183
In der literarischen Moskauer Exilzeitschrift Das Wort wurde 1937/38 ein Disput ausgetragen mit weitreichenden Folgen für die Theoriebildung auf dem Gebiet der Kunst und besonders der Literatur. Ausgangspunkt der ED waren widersprüchliche ästhetische und politisch-ideologische Bewertungen des E vor dem Hintergrund des antifaschistischen Kampfes und der Stalinisierung der SU. Vor allem im sowjetischen Exil lebende Teilnehmer an der ED argumentierten, der Irrationalismus des E, sein abstrakter Pazifismus, seine idealistische Entgegenstellung von ›Geist‹ und ›Macht‹ und der hilflose Gestus einer Revolte der Söhne gegen die Väter hätten letztlich in den Faschismus geführt. Dem wurde widersprochen mit dem Hinweis auf die große Zahl von ehemaligen Expressionisten unter den exilierten Antifaschisten. Hinter dieser antagonistischen Konstellation politisch verbündeter Schriftsteller wie Georg Lukács, Ernst Bloch, Hanns Eisler, Anna Seghers und Bertolt Brecht stand letztlich weniger die Bewertung des E, als die Handhabung der theoretischen Konzepte, die den Wertungen zugrunde lagen – Konzepte wie Realismus, Formalismus, Erbe und Volkstümlichkeit. Sie bilden das begriffliche Instrumentarium des in den 1930er Jahren in der SU postulierten sozialistischen Realismus. Die zunehmende stalinistische Einengung dieser Begriffe auf einen normativen Formenkanon verhinderte, dass die unterschiedlichen Realismuskonzeptionen in einer mehrheitsfähigen Theorie mündeten. Aber die intensive Arbeit an diesen Begriffen hat ein bedeutendes Korpus marxistischer Theorie hervorgebracht. Die in der ED entwickelten Wertungsmuster spielten in den marxistischen Literaturdebatten in der DDR wie der Formalismus-Debatte, der Faustus-Debatte oder der Diskussion um den Bitterfelder Weg eine ebenso zentrale Rolle wie in den von der 1968er Bewegung ausgelösten marxistischen Literaturdebatten in der BRD.
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