Nachbarschaftsbewegungen

A: ḥarakāt al-ǧiwār. – E: community/neighbourhood movements. – F: mouvements de quartier. – R: dviženija sosedstva. – S: movimientos barriales/vecinales. – C: línlǐ yùndòng 邻里运动

Isabel Rauber (CD/MS) (I.), Eva Fernàndez Lamelas (CD) (II.)

HKWM 9/II, 2024, Spalten 1707-1723

Seit dem letzten Drittel des 20. Jh. wird die Reproduktionssphäre in vielen Ländern zum Gegenstand von Klassenkämpfen, die sich bes. an Fragen der Stadtentwicklung festmachen und bei denen die Arbeiterbewegung und die linken Parteien keine oder nur eine sekundäre Rolle spielen. Ausgangspunkt dieser Kämpfe ist die Sicherung von existenziellen Reproduktionsbedürfnissen in der segregierten kapitalistischen Stadt. Anlass dafür sind etwa soziale und ökonomische Benachteiligung, fehlende technische und soziale Infrastruktur, unwürdige Wohnbedingungen und die – politisch gewollte oder hingenommene – Verdrängung aus Stadtvierteln durch Spekulation und Gentrifizierung. Die gemeinsame Betroffenheit in einem Stadtviertel ermöglicht kollektives Handeln, um bestehende Lebensbedingungen zu verteidigen oder zu verbessern. Auch wenn dieser Prozess nicht zwangsläufig eintritt und Organisationsfähigkeit und Mobilisierung auf lokaler Ebene voraussetzt, entstehen ab den 1960er Jahren vielerorts nachbarschaftlich geprägte Bewegungen in beachtlicher Breite. Trotz aller Unterschiedlichkeit stechen dabei zwei Merkmale immer wieder hervor: eine Politisierungsdynamik, die die Betroffenen dazu bewegt, über die unmittelbaren Probleme und stadtentwicklungspolitischen Forderungen hinaus grundlegende gesellschaftliche Widersprüche aufzugreifen, und die führende Rolle der Frauen.

Die Bezeichnung für diese Bewegungen variiert von Land zu Land; im Deutschen ist N geläufig. Als politisches Subjekt prägt sie die Fähigkeit, Fragen des Alltagslebens in einen Zusammenhang mit den Widersprüchen der kapitalistischen Verhältnisse zu bringen. Deswegen spielen N eine bedeutende Rolle etwa bei Umwälzungsversuchen wie der Überwindung der frankistischen Diktatur in Spanien in den 1970er Jahren oder beim Aufstand gegen neoliberale ›Strukturreformen‹ in Lateinamerika in den 1990er Jahren. Die Fähigkeit dieser N, vom Alltagsleben ausgehend politische Handlungsfähigkeit herzustellen, verweist mithin auf eine Leerstelle der übrigen emanzipatorischen Bewegungen und linker Parteien.

Die hier interessierenden N sind im Spektrum einer – weit gefassten – fortschrittlichen Bewegung zu verorten. Rechtsgerichtete Bewegungen, deren Protest sich in Wohnvierteln von Wohlhabenden artikuliert, um die Privilegien einer Minderheit zu verteidigen, werden nicht behandelt.

Arbeiterbewegung, Arbeitslosigkeit, Arbeitsteilung, Armut/Reichtum, Bedürfnis, Bewußtsein, Doppelbelastung, Entwicklungsländer, Familie, Familienarbeit/Hausarbeit, Feminisierung der Armut, Feminismus, Frankismus, Frauenbewegung, Freizeit, Gegenmacht, Gewerkschaften, globale Stadt, Haus, Hierarchie/Antihierarchie, Indiofrage, Kinderladen, Klassenbewusstsein, Kommunalpolitik, Kommune, Landlosenbewegung, Landnahme, Lebensweise/Lebensbedingungen, Marktfrauen, Marxismus-Feminismus, Massenbewegung/Massenorganisation, Miete, Migration, Mosaik-Linke, Multitude, Neoliberalismus, Neue Soziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen, öffentliche Güter, Organisation, organische Intellektuelle, Organisieren, Pandemie, Partei, Plebejisches, Politik, Politik außerhalb des Staates, privat/öffentlich, Privatisierung, Prekariat, produktive/unproduktive Arbeit, Proletariat, Raum, Rasse/Klasse/Geschlecht, Reformismus, Region, Reproduktionsarbeit, Reproduktionsbedingungen, Reproduktionsverhältnisse, revolutionäre Realpolitik, Selbstorganisation, soziale Bewegungen, soziale Garantien des Lebens, Stadt, Stadt/Land, Städtebau, Stadtguerilla, Subproletariat, Urbanität, Widerstand, Wohnungsfrage, Zivilgesellschaft

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n/nachbarschaftsbewegungen.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/04 18:57 von christian     Nach oben
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