Nationalbolschewismus
A: bulšufīya waṭanīya. – E: National Bolshevism. – F: national-bolchévisme. – R: nacional-bol’ševizm. – S: nacionalbolchevismo. – C: mínzú bù’ěrshéwéikè zhǔyì 民族布尔什维克主义
Gunter Willing
HKWM 9/II, 2024, Spalten 1821-1845
Die Rede vom N führt zunächst in die Krisen der Weimarer Republik und verweist auf zahlreiche politische Gruppen, die mittels verschiedenartiger Synthesen von Nationalismus und Sozialismus nach Auswegen suchten. Ihre Mitglieder stammten entweder aus dem rechtsnationalistischen Milieu, aus dem auch die wichtigsten ideologischen Impulse kamen, oder waren ehemalige Linke und wollten durch die Bildung »einer ›Querfront‹ […] von rechts bis links« die Klassenspaltung und die ideologischen Trennungslinien in einer neuartigen nationalistischen Gemeinschaft aufheben, in der sie das Wohl der deutschen Nation sahen (Klönne 1996/2000, 86). Sie verband ein »starker Hang zu extremen Lösungen in einer Katastrophensituation« (Traverso 2008, 263). Neben diesem N parteiunabhängiger Gruppen wurde die Bezeichnung auch auf taktische Überlegungen der KPD angewendet, Wählergruppen vom rechten Rand zu sich herüberzuziehen. Der Geschichtsschreibung der DDR war dieser N ein unangenehmes Kapitel, das nur kursorisch erwähnt wurde.
Der N verweist jedoch auch ganz allgemein auf das immense Problem linker Politik, wenn sie mit nationalistischen Mehrheiten konfrontiert wird und ihre Kapitalismuskritik demagogische Konkurrenz von rechts bekommt. Dies wird auch im 21. Jh. mit dem Aufleben rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen wieder aktuell. So propagiert der völkische Populismus in Deutschland mit seiner Ethnisierung der sozialen Frage Elemente des N als angeblich historisches Erbe der Arbeiterbewegung. Der N erscheint hier erneut als ›Querfront‹ der nationalen Kräfte zum Schutz der ›Volksgemeinschaft‹ (vgl. Hanloser 2019, 7-13). Oder seine ideologische Substanz wird die Grundlage einer neuen, imperial ausgerichteten Verbindung von Kommunismus und Nationalismus wie im Fall der KP der Russischen Föderation (KPRF) als stabilisierendes Element im System von Wladimir Putin.
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