nachhaltige Entwicklung

A: tanmiya mustadāma. – E: sustainable development. – F: développement durable. – R: ustojčivoe razvitie. – S: desarrollo sostenible. – C: kěchíxù fāzhǎn 可持续发展

Ernest Garcia (ES/RM), Hansjörg Tuguntke

HKWM 9/II, 2024, Spalten 1723-1745

Seit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 wurde der Ausdruck nE zur gängigen Maxime in Vorschlägen und Debatten zu gesellschaftlichen Veränderungen. Er bekundet den Wunsch nach einem auf Dauer angelegten sozioökonomischen Entwicklungsprozess, der die Auswirkungen von Armut und Ungleichheit abfedert und zugleich verhindert, dass die natürlichen Existenzgrundlagen der Menschheit in ihrem Stoffwechsel mit der Natur untergraben werden. Die World Commission on Environment and Development (WCED) – die sog. Brundtland-Kommission – hatte nE zuvor in ihrem einflussreichen Bericht Our Common Future abstrakt definiert als eine »Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können« (1987, 46).

Das in Rio de Janeiro beschlossene Aktionsprogramm der Agenda 21 fordert die »Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen […] im Dienste der nE« (Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992, 1) in internationale wie nationale Politik; ergänzend wurden lokale Programme ökologischer Modernisierung unter Bürgerbeteiligung angestoßen. Als Leitvokabel der Agenda 21 ist nE eine Antwort auf den wahrgenommenen Konflikt zwischen Mensch und Umwelt. Sie verspricht, sowohl ökologische Probleme als auch Probleme der Ressourcenknappheit lösen zu können, ohne die wirtschaftliche Entwicklung, geschweige denn die herrschende kapitalistische Produktionsweise infrage zu stellen.

Was allerdings konkret unter nE verstanden werden soll, bleibt in allen einschlägigen programmatischen Dokumenten vage. Gerade diese Vagheit ermöglicht es, dass sich die ›Weltgemeinschaft‹ auf nE als ›Ziel‹ zu einigen vermochte, in dem sich, je nach Interpretation des Ausdrucks, unterschiedliche bis gegensätzliche Interessen – von Regierungen, Kapitalfraktionen, sozialen Bewegungen usw. – wiederfinden können. Kontroversen entzündeten sich dabei v.a. daran, ob nE mit Wachstum (bzw. mit welcher Art von Wachstum) kompatibel ist, ob und wie natürliche Ressourcen monetarisierbar und ersetzbar sind und ob Prioritäten zwischen unterschiedlichen Dimensionen (ökonomisch, ökologisch, sozial u.a.) von ›Entwicklung‹ bestehen bzw. ob eine Separation dieser Dimensionen überhaupt möglich und sinnvoll ist.

Bei all dem bleibt oft die Frage unbeantwortet oder ganz ausgeklammert, unter welchen Bedingungen nE überhaupt zu verwirklichen wäre (vgl. Garcia 1995/1999, 8ff). Ist nE als unbegrenztes Wachstum bzw. unbegrenzt verlängerbare Entwicklung nicht – unabhängig von der Produktionsweise – ein Widerspruch in sich? Kann nE gelingen, ohne mit der verbreiteten Vorstellung zu brechen, die Menschen stünden einer objekthaften, manipulierbaren Natur als Äußeres gegenüber?

Notwendig scheint eine »Nachhaltigkeitsrevolution«, die einen »Formationswandel« hin zu einer selbstverwalteten Gesellschaft herbeiführt, die als »bewusst hergestelltes Anderes« (Dörre 2021, 223) einer ökologisch zerstörerischen Wirtschaftsweise Einhalt gebietet und eine humanere, mit den Naturbedingungen verträglichere Lebensweise erlaubt.

Armut/Reichtum, Bedürfnis, Destruktivkräfte, Energie, Entropie, Entwicklung, Entwicklungsländer, Erde, Eurozentrismus, Evolutionismus, Exkremente der Produktion, Fortschritt, Gattungsfragen, Gerechtigkeit, Globalisierung, Globalisierungskritik, Grenzen des Wachstums, Grüne Revolution, Grüner New Deal, hochtechnologische Produktionsweise, Ideologiekritik, Industrialisierung, kapitalistische Produktionsweise, Katastrophe, Katastrophismus, Klima, Klimapolitik, Kompromiss, Konsens, Konsumismus, Krise, Lebensweise/Lebensbedingungen, Malthusianismus, Mensch-Natur-Verhältnis, Modernisierung, Natur, Naturallianz, Naturbeherrschung, Naturschutz, Naturverhältnisse (gesellschaftliche), Nord-Süd-Konflikt, Nullwachstum, Ökobilanzen, Ökologie, ökologische Modernisierung, ökologischer Imperialismus, Ökologisierung der Produktion, Ökosozialismus, Peripherie/Zentrum, Phrase, Post-Development, Postindustrialismus, Postwachstum, Produktion des Lebens, Produktivismus, Produktivkraftentwicklung, Raubbau, Recycling, Reproduktion, Ressourcen, Stadt/Land, Stoffwechsel, Technikentwicklung/technologische Revolutionen, Technikkritik, technischer Fortschritt, Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung, Trikontinent, Überfluss, Übergang, Übervölkerung, Umwelt, Unbewohnbarkeit, ungleiche Entwicklung, Unterentwicklung, Vergeudung/Vergeudungskapitalismus, Verwestlichung, Vierte Welt, Wegwerfgesellschaft, Weltsystem, Weltwirtschaft, Wirtschaftskrise, Wirtschaftswachstum, Zivilisation, Zukunft, Zusammenbruchstheorie, zweiter Widerspruch des Kapitalismus

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n/nachhaltige_entwicklung.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/04 19:01 von christian     Nach oben
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